La Gomera
Resturlaub im November – in dieser Zeit ist das norddeutsche Schmuddelwetter ja nicht gerade einladend. Also lieber in den warmen Süden und bisschen Sonne auf La Gomera tanken. Doch zuerst ging es auf die Nachbarinsel Teneriffa, weil es auf La Gomera keinen internationalen Flughafen gab. Wir verließen Hamburg bei 4°C, Wind und Regen und landeten bei 25°C und Sonnenschein auf Teneriffa. Am Flughafen nahmen wir unseren Mietwagen entgegen, den wir über die Website gomeralive.de gebucht hatten. Der Autovermieter kontrollierte unsere Führerscheine, notierte sich unsere Kontaktdaten und reichte uns den Durchschlag des Formulars. „Wenn es Probleme gibt, da anrufen!“ sagte er und kreiste eine Telefonnummer auf der oberen rechten Ecke des Papiers ein. Dann führte er uns zum Parkplatz, übergab uns den Autoschlüssel, erklärte uns den Umgang mit dem Parkticket und verabschiedete sich schließlich.
Dann fuhren wir auf die Autobahn Richtung Westen nach Adeje, wo wir unser Hostel gebucht hatten. Der Host war überrascht, dass wir zu zweit waren, er hatte nur meine Freundin in seinem Buchungssystem. Es stellte sich heraus, dass das Hostel sein Buchungssystem gewechselt hatte und nicht alle Buchungen vom alten auf das neue System übertragen wurden. Jetzt war das Hostel voll und der Host geriet sichtlich ins Schwitzen. Wir suchten gemeinsam nach einer Lösung: auf der Terrasse schlafen war nicht möglich, eine zusätzliche Matratze hatte er nicht. Schließlich räumte er uns sein Bett frei und verbrachte die Nacht auf dem Sofa, während ich im Personalzimmer schlafen durfte.
Abends erkundeten wir die Umgebung. Adeje war eine Touristenhochburg und bestand nur aus Hotels für Pauschalreisende. Am Strand reihten sich Restaurants und Souvenierläden aneinander. Alles war grell erleuchtet und im Hintergrund blinkten bunte Lichtergirlanden an den Häusern. Ein paar Menschen schlenderten über die Promenade, in den Restaurants warteten zahlreiche leere Stühle und Tische darauf, besetzt zu werden und Kellner versuchten uns in ihre Restaurants zu locken. Ich war einerseits geschockt von dem Anblick dieser grellen Konsumwelt fand es andererseits aber auch spannend in diese mir so fremde Welt einzutauchen und das Treiben zu beobachten.
Als wir am nächsten Morgen die Fähre nach La Gomera nahmen, war ich froh, dieser, mich an Massentierhaltungskäfige erinnernde Hotelstadt den Rücken zu kehren.
Wir kamen in San Sebastian, einer kleinen Hafenstadt mit bunten Häuschen im Osten La Gomeras an. Nachdem wir uns mit Mojo-Sauce, Chorizo, Käse und Kartoffeln und anderen Leckereien eingedeckt hatten, brachen wir Richtung Westen auf. Die Straße führte auf eine Bergkette zu. Die kargen Felshänge waren mit Feigenkakteen, Agaven und anderen Steingartengewächsen bewachsen. Die Sonne schien vom strahlend blauen Himmel und wir fuhren immer tiefer in die Berge hinein. Schließlich führte die Straße durch einen Tunnel, der uns in eine andere Welt führte. Auf der anderen Seite war die Sonne verschwunden. Nebelschwaden hingen in den Bäumen. Die Straße führte durch einen verwunschenen Urwald, dessen Bäume ihre Äste über die Straße breiteten und einen Tunnel bildeten. Die Straße führte in zahlreichen Kurven immer weiter bergauf. Schließlich wurden die Wolken lichter und gaben den Blick auf das Tal frei. An einem Aussichtspunkt hielten wir an um unser Mittagessen zu genießen. Als wir die Autotür öffneten, wehte uns kühler Wind entgegen. Auf 1000m waren die Temperaturen eher frühlingshaft. Aber in der Sonne ließ es sich aushalten. Auf der schmalen, kurvigen Straße ging es weiter durch den Lorbeerwald nach Westen. Schließlich öffnete sich der Wald und die Straße führte durch ein verschlafenes kleines Dorf in eine karge Felslandschaft, die an den Grand Canyon in den USA erinnerte. Die Straße schlängelte sich in Serpentinen durch mehrere Dörfer nach unten. Je näher wir dem Meeresspiegel kamen, desto grüner wurde die Vegetation. Auf den angelegten Terrassen wuchsen Bananenpalmen, Orangen-, Zitronen- und Mango- und Papayabäume, Kartoffeln, Paprika und Chilis. Die Häuser wurden von großen kanarischen Dattelpalmen überschattet. Das Tal wirkte im Gegensatz zur kargen Felslandschaft weiter oben prunkvoll und fruchtbar und machte dem Namen Valle gran Rey (Tal des großen Königs) alle Ehre.
Unser Appartement befand sich im 1. Stock eines rotgestrichenen Terrassenhauses in Vueltas – einem urigen Hafendorf im Valle gran Rey. Die meist autofreien Straßen und Gassen waren mit bunten Blumen und Sträuchern bepflanzt. Boutiquen und Galerien luden zum Shoppen ein, im Hafenbecken dümpelten bunte Fischerboote neben Segelyachten und kleinen Ausflugsdampfern und ein Badestrandbot Gelegenheit zum Verweilen und Schwimmen ein. Es roch nach gebratenem Knoblauch
Unser Appartement war spartanisch eingerichtet, hatte aber alles, was wir brauchten. Von der großzügigen Dachterrasse mit großer Auswahl an Sitzmöbeln konnten wir über den kleinen Hafen aufs Meer schauen.
Auf den Straßen hörte man viel Deutsch. Es waren viele deutsche Touristen da, aber auch viele Deutsche, die einst nach La Gomera ausgewandert waren. Die Insel ist auch bekannt als „Insel der Beknackten“, weil in den 70er Jahren ein paar Hippies dorthin ausgewandert waren. Sie wollten der Konsumwelt den Rücken kehren und ihr Lebensglück in Höhlen auf Gomera versuchen. Einige von ihnen leben immer noch in Felshöhlen an der Küste. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Deutsche nach Gomera, eröffneten Geschäfte, Bars oder Restaurants (mit teilweise deutschen Namen) oder publizierten ein Satire-Magazin (Valle-Bote) – natürlich auf Deutsch. In den Supermärkten stapelten sich neben kanarischer Mojo-Sauce, Chorizos, Palmenhonig, Bananen und Avocados Brechbohnen aus der Dose von Gut & Günstig, Wienerwürstchen im Glas von ja!, das gesamte Sortiment an Sauren Gurken, das Deutschland zu bieten hat und dosenweise Sauerkraut. Außerdem erinnerten Lebkuchen und Spekulatius an das bevorstehende Weihnachtsfest. Es gab eine deutsche Bäckerei und viele der deutschen Auswanderer schienen nur rudimentär Spanisch zu sprechen. Für uns als Touristen, die nur wenig Spanisch konnten, war es praktisch, für die Auswanderer aber eigentlich ein Armutszeugnis. Erwarten wir nicht von den Zuwanderern, dass sie unsere Sprache lernen und sich mit unserer Kultur auseinandersetzen? Finden wir es nicht befremdlich, wenn wir in einigen Stadtvierteln auf der Straße kaum noch Deutsch hören und die Schriftzüge an den Läden nicht lesen können? Ja, darüber können wir uns manchmal wirklich aufregen. Valle gran Rey auf La Gomera zeigt aber, dass wir als Zuwanderer in einem anderen Land nicht besser sind und die gleichen Subkulturen aufbauen und leben, die wir bei den Zuwanderern in Deutschland kritisieren.
Wanderung durch den Lorbeerwald
Die erste Wanderung ging in den Lorbeerwald. Vom Parkplatz an der Straße führte ein Weg über eine Treppe aus knorrigen Ästen in den Wald hinein, der in dieser Höhe aus einem Dickicht aus Strauchbäumen bestand. Sie erinnerten mich von der Wuchsform her an überdimensional großes Heidekraut, weshalb ich sie Heidekrautbaum nannte. Ich kam mir vor, wie ein Zwerg in einer Heidelandschaft. Bei meinen späteren Recherchen für diesen Bericht, fand ich heraus, dass mein Heidekrautbaum tatsächlich mit dem Heidekraut verwandt ist und offiziell Baumheide heißt.
Je tiefer wir in den Wald hinab stiegen, desto größer wurden die Bäume. Die Baumstämme waren von dickem Moos und Flechten bewachsen. Flechten hätte ich in diesen Breiten eher weniger vermutet, da diese Gewächse für mich eher tundra- und taigatypisch sind und damit eher in die nördlichen Breiten denn in Äquatornähe gehören. Aber offensichtlich fühlen sich diese Pflanzen auch in wärmeren Gegenden wohl. Inzwischen waren wir wirklich im Lorbeerwald angekommen. Große Lorbeer- Avocado- und Eukalyptusbäume wuchsen hier.
Ein Bach plätscherte neben dem Weg vor sich hin. Große Farne säumten das Bachbett. Plötzlich wurde es dunkler. Nebelschwaden zogen durch die Baumkronen und packten den Wald in Watte. Die Stimmung wurde mystisch und der Wald wirkte mit seinen Lianen, die von den knorrigen Bäumen hingen und dem dichten Farn im Unterholz wie ein Zauberwald. Ab und zu zwitscherte ein Kanarienvogel aus den Kronen in die Stille. Ansonsten hörten wir nur das leise Plätschern und Gurgeln des Bachs.
Als wir auf einer Bank Mittagspause machten, kam die Sonne heraus und sendete ihre Strahlen durch den Nebel. Jetzt war die Zauberstimmung perfekt. Es fehlten nur noch Elfen und Trolle, die im Lichtkegel der Sonnenstrahlen erschienen und zu uns sprachen. Der Weg führte an verlassenen und verfallenen Häusern vorbei in ein kleines Dorf. In den Gärten entdeckte ich neben Kartoffel- und Paprikapflanzen einige weitere bekannte Gewächse, die ich zuhause in Miniaturform im Blumentopf züchtete. Hier war der Ficus ein großer Baum, der seine Äste über die Terrasse eines Hauses breitete und Schatten spendete. In den Gärten blühten Geranien und Drillingsblumen in satten Farben. Wir genossen unseren Kaffee auf der Terrasse eines kleinen Restaurants, bevor wir den Aufstieg durch die unterschiedlichen Vegetationszonen zurück zum Auto antraten.
Agulo
Am nächsten Tag fuhren wir nach Agulo, ein kleines Dorf im Norden der Insel. Agulo lag auf einem kleinen Hügel am Fuße einer fast senkrecht aufragenden Felswand. Unser Wanderziel war eine Hochebene aus roter Erde. Um diese zu erreichen, mussten wir zunächst die steile Wand erklimmen. Der Weg führte durch Terrassen auf denen die Dorfbewohner Bananen, Kartoffeln und Paprika anbauten. Am Wegesrand blühten prächtige Weihnachtssterne in großen Sträuchern, Hibiskus und Drillingsblumen.
Schließlich hatten wir die Felswand erreicht. Der Weg schraubte sich in engem Zickzack die Wand hinauf und war nur an sehr exponierten Stellen mit einem Geländer gesichert. Man sollte schon trittsicher und schwindelfrei sein, um diese Tour zu bewältigen.
Der Ausblick auf Agulo und das dahinter liegende Meer war großartig. Je höher wir jedoch kamen, desto näher kamen wir auch den Wolken. Als wir schließlich die Hochebene erreicht hatten, waren wir von Wolken umhüllt. Die stärkste Steigung hatten wir geschafft. Nun ging es moderat bergauf. Der Weg führte durch eine Landschaft aus Agaven, Feigenkakteen und Wolfsmilchgewächsen und wildem Fenchel. Schließlich hatten wir die Aussichtsplattform Mirador de Abrante erreicht. Allerdings verhinderten die tiefhängenden Wolken die Weitsicht.
Oben auf der Hochebene änderte sich die Landschaft. Der Pflanzenbewuchs wurde dünner und die Erde wechselte die Farbe von gelb in ein intensives Ziegelrot. Die Sonne, die durch den Nebel schien, tauchte alles in ein leicht gelbliches Licht. Es schien, als wären wir auf einen anderen Planeten gewandert. Der Weg führte durch eine karge, hügelige Landschaft aus roter Erde. Ein paar Büsche versuchten in der Öde zu überleben und bildeten mit ihren saftigen grünen Blättern einen schönen Kontrast zu der roten Erde. Auf der Rückseite des Berges ging es wieder nach unten. Der Abstieg war nicht ganz so steil wie der Aufstieg, trotzdem waren wir froh, den Rundweg im Uhrzeigersinn zu gehen und einen kurzen, sehr steilen dafür kürzer anstrengenden Aufstieg gehabt zu haben, als einen weniger steilen, dafür längeren und damit auch länger anstrengenden. Die Rückseite des Berges war grün. Hier wuchsen Baumheide, kanarische Dattelpalmen und Drachwurz. Als wir um die Felsnase herum kamen, hatten wir einen schönen Blick auf den Teide, den höchsten Berg auf der Nachbarinsel Teneriffa. Wir schlenderten noch ein wenig durch das verschlafene Agulo und fuhren weiter zum Pescante de Hermigua, wo wir ein Bad in der ehemaligen Hafenanlage, die zu einem Meerwasserschwimmbecken umgebaut wurde, nahmen.
Wanderung zum Wasserfall
Unsere nächste Wanderung führte in ein Seitental des Valle gran Rey zu einem Wasserfall. Der Weg dorthin ging parallel zu einem Bach durch ein unwegsames Feuchtgebiet. Riesenschilf, Zypernngras, Kresse und Dattelpalmen bildeten einen dichten Dschungel und es war nicht immer eindeutig, wo der Weg eigentlich war. Manchmal mussten wir einige Meter durch das Bachbett laufen oder durch Tunnel aus Riesenschilf kriechen.
Unter dem Pflanzendickicht konnten wir die Mauern von Terrassen erahnen. Offensichtlich wurden hier früher Nutzpflanzen angebaut. In diesem unwegsamen Gelände Terrassen in den Berg zu graben und die unzähligen Steine für die Mauern zusammenzutragen und aufzuschichten, musste wirklich Knochenarbeit gewesen sein. Maschinen gab es in dieser Zeit nicht und wären in dem schwer zugänglichen Gelände auch nicht einsetzbar gewesen.
Playa de la cantera
Am nächsten Tag erkundeten wir den Süden der Insel. Wir parkten unser Auto bei einer Ziegenfarm südlich des kleinen Dörfchens Alajeró. Ein schmaler Weg führte durch eine trockene Buschlandschaft mit unterschiedlichen Wolfsmilchgewächsen den Hang hinunter bis zum Meer. Oben waren zahlreiche Terrassen angelegt, die darauf hindeuteten, dass hier vor vielen Jahren Ackerbau betrieben wurde. Jetzt lagen die Terrassen trocken und karg in der Sonne. Lediglich ein paar Wolfsmilchgewächse sorgten für Abwechslung auf der kargen Erde. Die zeigte sich auf der Wanderung nochmal in allen Farben: von weiß über unterschiedliche Gelbschattierungen und Rottöne bis ins Schwarze.
Am Playa de la Cantera standen die Reste einer Fischfabrik aus dem 19. Jahrhundert: große Hallen mit eingefallenen Dächern und kleine Arbeiterhäuser, die in die Höhlen der löchrigen Felswand gebaut waren. Das Gelände war von einem Zaun umgeben. Am Gartentor stand ein Schild: hier wohnen Menschen – ganz legal. Bitte das Gelände nicht betreten. Wir konnten uns kaum vorstellen, dass in diesen Ruinen Menschen lebten. Das Haupthaus war noch am besten erhalten, doch auch hier fehlten teilweise die Fenster und einige Dachziegel waren lose. Der Garten war teilweise schön bepflanzt, am Hang standen Wassertanks und einige Zelte und Plastikstühle deuteten auf menschliches Leben hin. Menschen sahen wir aber keine. Nur eine Katze. Wer hier in dieser Abgeschiedenheit wohl lebt und warum? Die Fischfabrik war nur über den steilen Weg erreichbar, den wir heruntergekommen waren. Der Aufstieg bis zur nächsten Straße, auf der unser Auto parkte, dauerte mindestens eine Stunde. Vom Wasser aus wäre es wahrscheinlich einfacher, doch von dem einstigen Schiffsanleger waren nur noch ein paar Mauerreste übrig und Boote gab es auch nicht.
Wir legten uns an den Strand und genossen die Sonne, als es plötzlich vom anfing zu regnen. Dabei schien doch die Sonne. Aber ein kleiner Wolkenausläufer hatte sich wohl über uns verirrt und beschloss uns mit einer kleinen Dusche zu erfrischen. Wir warteten den Schauer unter unserer Picknickdecke ab und traten dann den Rückweg an. In den Bergen hingen die Wolken fest und auch über dem Meer zogen einzelne Schauer vorbei und zogen einen Regenvorhang vor den Horizont. Der Aufstieg war steil und anstrengend. Wir konnten nicht wirklich nachvollziehen, warum die Tour im Wanderführer als leichte Wanderung ausgeschrieben war.
In den Bergen war es stürmisch. Der Wind riss an den Bäumen und peitschte den Regen gegen unser Auto. Wir konnten uns kaum vorstellen, dass das Wetter in Vueltas anders sein könnte. Die WetterApp zeigte strahlenden Sonnenschein und keinen der vielen Regenschauer, die um und über die Insel zogen. Als wir das Valle gran Rey erreichten, wurde es heller. Die Sonne kam heraus und malte einen Regenbogen an die roten Felsen. Als wir Vueltas erreichten, schien die Sonne. Nur die dichten Wolken über den Bergen erinnerten an das schlechte Wetter.
Casas de cuevas blancas
Unsere letzte Wanderung führte uns zu den Casas de cuevas blancas – die Häuser in den weißen Höhlen. Der Weg führte den Steilen Südhang hinauf auf einen Grat auf dem sich die karge Südhangvegetation mit den Sattgrünen Kiefern und Baumheide trafen. Es wehte ein starker Wind und wir mussten gut aufpassen, wo wir unseren Fuß hinsetzten ohne umgeweht zu werden und den steilen Hang hinabzustürzen. Vor dem Stangensteig, der für seine vielen, schlecht gesicherten, exponierten Stellen bekannt war, warteten wir einen kräftigen Regenschauer mit starken Windböen in einer Höhle ab. Der Wind peitschte den Regen über die Berge und das sonnige San Sebastian verschwand hinter grauen Regenvorhängen. Es wurde mit gefühlten 10°C ziemlich kalt und wir zogen alles an, was wir hatten. Als der Regen vorbei war, wagten wir die Wanderung über den Stangensteig. Der schmale Höhenwanderweg führte an einem Bergrücken entlang. Links ging es teilweise senkrecht 100m bergab, rechts einige Meter steil bergauf. Der Weg war ca. 50cm breit und erforderte Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Die Landschaft überzeugte wieder mit prächtigen Farben. Der steile Berghang war mit grünen Kiefern bewachsen, die einen schönen Kontrast zu der roten Erde bildeten. Schließlich führte der Wanderweg über den Bergrücken in eine andere Welt. Wir befanden uns wieder am Südhang, der hier gespenstisch karg war. Die Pflanzen, die hier wuchsen waren alle vertrocknet und glänzten silbrig in der Sonne, als wären sie von heißer Luft versengt worden. Sämtliches Leben wirkte ausgelöscht. Nur der Blick nach links ins Tal mit seinen grünen Kiefern erinnerte noch daran, dass wir uns auf der Erde befanden. Sonst hätte es vielleicht auch der Mond sein können. Auch hier waren viele Terrassen angelegt, die auf früheren Ackerbau hindeuteten. Es war allerdings kaum vorstellbar, dass in dieser leblosen Wüste Nutzpflanzen angebaut wurden. Wahrscheinlich war es zu beschwerlich geworden und deshalb aufgegeben worden.
Die Casas de cuevas blancas lagen eng an einen Felshang geschmiegt. Sie wirkten von außen klein, waren innen aber sehr geräumig, da sie in Höhlen gebaut waren und deren Raum mitnutzten. Einige Häuser waren bereits eingefallen, andere aber noch intakt und sogar eingerichtet. In einem der Häuser war der Tisch gedeckt, Pfannen standen auf der Kochstelle, im Wandregal stapelte sich Geschirr und das Bett hatte sogar noch eine Matratze. Schuhe und Klamotten lagen auf dem Boden verteilt und draußen im Ofen stand eine Pfanne und wartete darauf benutzt zu werden. An der Hausecke lagen einige leere Flaschen. Warum hatten die Leute so viel Hab und Gut zurückgelassen und waren einfach so gegangen? Mich stimmte der Anblick dieses und der vielen Lost Places auf La Gomera traurig. Wenn Tiere ihr Zuhause verlassen, fallen die Bauten im Laufe der Jahre zusammen und die Nester werden vom Wind aufgelöst. Nach kurzer Zeit sind alle Spuren verwischt – nichts mehr deutet darauf hin, dass hier mal ein Tier gelebt hatte. Bei menschlichen Lebensräumen ist das anders. Gemäuer bleiben über Jahrhunderte erhalten, Plastik und Gummi brauchen mehre 100 oder sogar 1000 Jahre um zu verrotten. Die Verrottungsdauer von Glas konnte bisher nicht gemessen werden. Menschen verändern und schädigen die Erde nachhaltig. Ihre Spuren sind mitunter Jahrtausende sichtbar.
Spuren zu hinterlassen, scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein. Ein Geltungsbedürfnis. Aber welches Geltungsbedürfnis befriedigen wir, indem wir Müll hinterlassen und damit den Lebensraum für nachfolgende Generationen schädigen? Ist es vor diesem Hintergrund nicht erstrebenswerter, keine Spuren zu hinterlassen und es den Tieren gleichzutun? Das würde aus meiner Sicht eher einem Geltungsbedürfnis gerecht werden. Denn man möchte den Nachkommen doch in guter Erinnerung bleiben.
Rückreise
Wir fuhren weiter nach San Sebastian, wo uns die Fähre abends nach Teneriffa brachte. Es war guter Seegang und das Schiff wurde in den Wellen hin und her geschüttelt. Geradeaus laufen war schwierig. Mir fiel unser Hinflug ein, bei dem wir während leichter Turbulenzen die Anschnallgurte anlegen sollten. In diesen Turbulenzen wäre Laufen problemlos möglich gewesen. Auf dem Schiff liefen die Leute in Schlangenlinien. Anschnallgurte oder die Aufforderung, sich hinzusetzen, gab es nicht.
Auf Teneriffa hatten wir dieses Mal ein anderes Hostel gebucht. Es lag an der Costa del Silencio. Das Hostel hatte einen schönen Innenhof, der von einem prächtigen Ficusbaum überschattet wurde. Die Zimmer waren liebevoll eingerichtet und mit schönen Wandmalereien bemalt. Als wir kamen herrschte im Innenhof reges Treiben. Jemand spielte Gitarre und andere sangen dazu. Es roch nach Gras. Die Schilder, dass der Graskonsum hier verboten ist, interessierten hier wohl niemanden.
Abends erkundeten wir die Gegend. Der Stadtteil, in dem sich das Hostel befand, schien heruntergekommen. Die Straße war mit tiefen Schlaglöchern übersät und von den Häusern bröckelte der Putz. Über den Straßen spannten sich Lichterbogen mit leuchtenden Schneeflocken und Sternen. Die Weihnachtsbeleuchtung passte nicht wirklich zu Palmen und der lauen Sommernacht. Aber es war der erste Advent.
Wir fanden ein Restaurant, in dem wir auf Empfehlung des Wirts kross gebratenen Lachs mit Kartoffeln und Salat genossen. Das letzte Mal kanarische Küche. Die traditionelle Küche hatte es mir angetan. Während die Hausmannskost in Deutschland gerade zunehmend verschwindet, wird die Landesküche auf den Kanaren sehr gepflegt, sodass wir uns durch die reichhaltige und abwechslungsreiche kanarische Küche schlemmen konnten. Ich aß gebackenen Käse mit Mojosauce und Palmhonig, Garnelen in Knoblauchsauce, Paella und Schweinegeschnetzeltes in Roquefortsauce. Alles ein Genuss und eine willkommene Abwechslung zur deutschen Küche, die mittlerweile nur noch aus Pizza, Pasta, Burgern, Sushi und Currys zu bestehen scheint.
Am nächsten Morgen erkundeten wir den Stadtteil nochmal im Hellen. Der heruntergekommene Eindruck des Ortes bestätigte sich.
Bei Google Maps hatte ich einen schönen Küstenstreifen entdeckt, den ich mir anschauen wollte. Der Weg dorthin führte durch ein verfallenes Viertel. Ich musste immer den Boden im Blick haben um nicht in ein Schlagloch zu stolpern. Neben dem Weg lag eine verfallene Parkanlage. Lautes Vogelgezwitscher lenkte meinen Blick nach oben. In den ausladenden Ästen des Ficusbaums hingen große kugelförmige Nester aus denen grüngefiederte Mönchssittiche guckten. Der Weg führte weiter an einem halb verwaisten Tennisplatz vorbei in eine bessere Gegend. In den Gärten der luxuriösen Einfamilienhäuser wuchsen große Yucca-Palmen und es blühten Geranien und Hibiskus in allen Farben. Es folgte ein Hotel- und Ferienhausviertel in dem viele Touristen wohnten. Ich sah die endlosen Fassaden mit ihren zahlreichen Balkonen entlang. In den Innenhöfen reihten sich Liegestuhl an Liegestuhl um die Pools. Eine Bettenburg nach der nächsten. Hier passten sie sich als 2-3 geschossige Bauten mit ihrer ausgefallenen Architektur noch schön in die Umgebung ein. Ich hatte aber die geschmacklosen Hochhausburgen von Adeje, die mich eher an Käfige aus der Massenhühnerhaltung erinnerten, im Kopf und ich dachte an artgerechte Tierhaltung. Beim Anblick der Massenmenschenhaltung in Hotelburgen fragte ich mich, wie wohl artgerechte Menschenhaltung aussieht. Für jeden, je nach persönlichem Geschmack, wahrscheinlich anders. Für mich auf jeden Fall einsam und naturnah. Keine Massenhaltung.
Die Küste am Ziel war wirklich schön. Die Felsen erinnerten mich mit ihren gelblich-braunen Schichten an die Bilder des Antelope-Canyons und bildeten einen schönen Kontrast zu den schwarzen Steinen am Strand und dem türkisblauen Wasser mit seiner weißen Gischt.
Am Nachmittag flog unser Flugzeug und brachte uns wieder zurück in den kalten Norden. Immerhin passte das Wetter besser zur beginnenden Weihnachtszeit. Lebkuchen, Spekulatius und leuchtende Schneeflocken in der Fußgängerzone passten doch besser zu kaltem Wetter als zu Palmen und sommerlichen Temperaturen.
Fotos von der Reise gibt es hier