Sommerurlaub in Schweden
Ende letzten Jahres hatte ich mir ein neues Tourenboot für längere Paddeltouren gekauft. Das musste nun eingeweiht werden. Mein Paddelrevier stand schon fest: ein Stück auf dem Dalslandkanal in Westschweden. Den Weg dorthin nahm ich in mehreren Etappen.
Diesmal wählte ich den Weg über die Dänischen Inseln, wo ich die erste Nacht an einem schönen Platz an der Nordspitze Fyns verbrachte. Am nächsten Tag ging es über die große Beltbrücke nach Seeland und von dort mit der Fähre weiter nach Helsingborg in Schweden. Mein erstes Etappenziel war die Halbinsel Kullaberg etwas nördlich von Helsingborg an der schwedischen Westküste. Ich parkte meinen Bus auf einem Wanderparkplatz und wollte an der Nordküste entlang bis zu einem Leuchtturm an der Spitze der Insel wandern. Der Weg führte durch einen verwunschenen Wald über Berg und Tal der hügeligen Landzunge. Die Anstiege waren kurz aber steil. Schon nach wenigen Kilometern bemerkte ich bei jedem Schritt ein Knacken in der Hüfte und konnte bei jedem Schritt spüren, wie irgendwas über den Hüftknochen sprang. Es tat nicht weh, war aber sehr unangenehm und machte jeden Schritt zur Qual. An eine lange Wanderung war nicht zu denken.
Ich machte also erstmal nur einen Abstecher nach Ladonien, einer Mikronation, die der schwedische Künstler Lars Vilks 1996 ins Leben gerufen hatte. Hauptattraktion des Mini-Landes sind riesige, aus Treibholz zusammengezimmerte Holztürme (Nimis), die über Brücken miteinander verbunden sind. Auf den Türmen und Brücken kann man herumklettern und sie bilden einen riesigen Spielplatz und ein Kletterparadies für Groß und Klein. In Deutschland würde das Besteigen einer solchen Skulptur kein TÜV genehmigen, in dem TÜV-freien Mikroland aber kein Problem. Es machte Spaß, in dem Holzgebilde herumzuklettern und sich durch die Holztunnel zu quetschen.
Unten am Strand thronte die Festung Arx, eine aus Steinen und Sand erbaute Burg direkt am Meer.
Wieder beim Auto angekommen, machte ich noch einen Abstecher zum Leuchtturm Kullens Fyr, bevor ich mich auf die Suche nach einem Übernachtungsplatz begab. Das war im dicht besiedelten Südschweden gar nicht so einfach. Das Jedermannsrecht gilt nicht für Wohnmobilisten und an fast jedem größeren Parkplatz wiesen Schilder auf ein Campingverbot hin. Zunächst versuchte ich ohne die Hilfs-App Park4Night auszukommen, doch nachdem ich nur Parkplätze mit Verbotsschildern fand, beschloss ich, das Schwarmwissen der App in Anspruch zu nehmen und fand schließlich einen Parkplatz direkt am Meer, auf dem es einige Wohnmobilstellplätze gab, wo ich eine Nacht bleiben konnte. Am nächsten Morgen regnete es. Ich beschloss den Tag im Auto zu verbringen und fuhr weiter Richtung Norden. Am Nachmittag kam ich an der Badestelle Kråkviken im Dalsland an. Die Wolken hingen tief über den Waldhügeln und es regnete. Ich konnte der WetterApp, die für den nächsten Morgen sonniges Wetter vorhersagte, kaum glauben. Nur die angekündigten 5-6 Windstärken machten mir etwas Sorgen. Aber die Richtung war aus West angesagt. Aus dieser Richtung hatte der Wind auf dem gut 40 km langen, nordsüdlich verlaufenden See kaum Anlauf, denn in ostwestlich verlaufender Richtung war der Lelång nur 2-3 km breit.
Am nächsten Tag schien tatsächlich die Sonne und ein kräftiger Wind riss an den Bäumen. Aber die Wellen waren nur knapp 40 cm hoch und somit gut paddelbar. Ich belud mein Kajak und stach Richtung Norden in See. Das Boot lag stabil auf dem Wasser und ich paddelte an malerischen Felsufern auf denen knorrige Kiefern wuchsen, vorbei.
Nach wenigen Kilometern bog ich in einen Seitenarm ab. Hinter der ersten Kurve flaute der Wind schlagartig ab und ich konnte die Wärme der Sonne auf der Haut spüren.
In Gustavsfors musste ich warten. Die Schleuse, über die man den Höhenunterschied in den nächsten See überwinden konnte, schleuste gerade Boote in die Gegenrichtung.
Endlich öffnete sich das Tor und nachdem alle Schiffe die Schleusenkammer verlassen hatten, durften wir, ein Motorboot und einige andere Paddler, einfahren. Der Schleusenwärter warf uns Seile zu, an denen wir uns festhalten konnten, dann wurde die Tür hinter uns geschlossen und die Kammer mit Wasser gefüllt. Langsam stieg der Pegel und brachte uns auf das Niveau des höhergelegenen Kanals. Nach 2 Kilometern mündete der Kanal in eine Bucht des Västra Silen. Auf mehreren Inseln waren Lagerplätze mit Schutzhütte, Feuerstelle und Toilette eingezeichnet. Ich musste mir nur einen aussuchen. Es war noch früh am Tag, die Mittagspausenzeit war gerade vorbei, aber angesichts des beliebten Paddelreviers beschloss ich, lieber jetzt auf Lagerplatzsuche zu gehen und die Wahlfreiheit zu haben, als mich am Ende mit unbeliebten Restplätzen zufrieden geben zu müssen. Ich fand einen schönen Platz im Windschatten einer Insel mit Feuer- und Badestelle und ließ den Tag mit baden, lesen, leckerem Essen und abendlichem Lagerfeuer ausklingen. Den Platz hatte ich für mich alleine. Nur am anderen Ende der Insel hatte sich eine Gruppe niedergelassen, die die Insel mit lauter Musik aus der Bluetoothbox beschallte. Warum man sich nicht mit der Musik der Vögel zufriedengeben konnte, blieb mir ein Rätsel.
Am nächsten Morgen wurde ich vom Ruf der Kraniche geweckt, der von der benachbarten Vogelschutzinsel zu mir herüber schallte. Die Sonne strahlte vom wolkenlos blauen Himmel, ich belud mein Boot und startete Richtung Süden mit Kurs auf eine Kirche am Horizont. Hinter der Kirche schien der See zu Ende. Als ich die Kirche endlich erreicht hatte, stellte ich fest, dass sich der See dahinter noch viel weiter erstreckte. Ich passierte ein paar Inseln, die mit abgestorbenen Bäumen bewachsen waren. Krähen hatten sich hier eingenistet und verliehen den Inseln eine etwas gruselige Stimmung. Hinter den Inseln umfuhr ich eine Lachsfarm und konnte schließlich am Horizont das Ende des Sees ausmachen. Hier hieß es umtragen in den 13 km langen aber meist nur wenige 100m breiten Svärdlång. Der See lag tiefschwarz zwischen steilen Felswänden und bewaldeten Ufern und unberührt wirkender Natur. Die Fahrt endete an einem Kraftwerk bei Skåpafors und ich musste mein Boot wieder umtragen. Ich war froh, die Rundtour im Uhrzeigersinn zu fahren, denn so rollte mein schweres Boot die ca. 30 Höhenmeter zum Laxsjön fast von alleine bergab.
An meinen Händen zeigten sich die ersten Blasen und ich suchte nach 30 Paddelkilometern nach einem Lagerplatz Ausschau. Ich fand einen schönen Shelterplatz in einer windgeschützten Bucht.
Am nächsten Tag ging es durch zahlreiche Schleusen nach Bengtsfors zurück in den Lelång. Meine Blasen an den Händen machten sich gut bemerkbar und die letzten Kilometer zum Bus zogen sich in schmerzhafte Länge. Als ich das Ziel erreicht hatte, war ich einerseits froh, nicht mehr paddeln zu müssen, denn zwei meiner 5 Blasen an der rechten Hand waren kurz vor dem Aufplatzen, aber ich war auch traurig, dass die Tour schon zu Ende war. Die Fahrt durch die einsame, unberührte Natur hatte mir Ruhe gegeben. Mit dem Boot kommt man an unberührte Ecken fernab der Zivilisation und ist der Natur viel näher. Das ist mit dem Camper nicht zu schaffen, selbst wenn man, wie ich, meist autark in der Wildnis steht. Aber überall dort, wo man mit dem Auto hinkommt, kommen auch andere Menschen hin und die Natur ist eben doch nicht so unberührt wie an Stellen, die man nur zu Fuß oder mit dem Kajak erreicht.
Meine WetterApp kündigte für die nächsten Tage eine Hitzewelle an: jeden Tag 30°C, nachts um die 20°C. Dabei fand ich die 24°C eigentlich gerade ganz angenehm. Heißer musste ich es nicht haben. Aber das konnte ich ja nicht beeinflussen. Ich studierte die Wetterkarte. In Norwegen wurde es erst ab Mittelnorwegen kühler, aber so weit wollte ich nicht fahren. Außerdem hatte ich wenig Lust auf die Corona-Einreiseformalitäten beim Grenzübertritt. Auch in Schweden schien keine kühlere Ecke in der Nähe zu sein. So beschloss ich in Wassernähe zu bleiben, sodass ich wenigstens baden gehen konnte.
Ich machte mich auf den Weg nach Håverud. Dort gab es ein Aquädukt zu bestaunen.
Die Straße dorthin war ein Abenteuer und ich bekam eine Ahnung, weshalb so mancher die schwedische Straßenqualität als schlecht bewertete. Ich war schon oft auf schwedischen Straßen unterwegs und hatte die Fahrbahn nie bemängelt. Aber bereits auf der Autobahn fielen mir heftige Bodenwellen, bei denen die angegebene Geschwindigkeitsbegrenzung durchaus ernstgenommen werden sollte, auf. Diese schmale Landstraße war zwar asphaltiert, aber es schien, als hätte jemand beim Straßenbau nur eine Schneise durch den Wald geschlagen, diese notdürftig planiert und mit Asphalt übergossen. Die Fahrbahn war so schief und buckelig wie die Landschaft, sodass 60 km/h die Höchstgeschwindigkeit für eine sichere Fahrt war.
Schließlich erreichte ich Håverud. Das Besondere an dem Aquädukt war, dass die Wasserbrücke für Schiffe gebaut wurde und Mitte des 19. Jahrhunderts eine architektonische Meisterleistung war. Das Hindernis, das überbrückt werden musste, war ein längerer Wasserfall, der für die Schiffe zu viel Strömung hatte und mit Schleusen nicht überbrückt werden konnte, zumal er ein Wasserkraftwerk speiste. So entstand die Idee, die Schiffe über ein Aquädukt über den Wasserfall zu führen. Ich hatte diese Brücke bereits in einer gekürzten Kinderbuchausgabe von „Nils Holgersson“, das mit Fotos aus dem Film illustriert war, gesehen und wollte sie mir nun ansehen. Es herrschte reges Treiben. Viele Boote und ein Ausflugsdampfer, der nur knapp in die Schleusenkammer passte, wurden durch zahlreiche Schleusen auf das Niveau der Wasserbrücke gebracht um dann den Wasserfall zu überfahren. Leider wurde das Wasser oberhalb des Wasserfalls aufgestaut und in ein Kraftwerk geleitet, sodass das Wasserfallbett ausgetrocknet war. Den Moment, in dem kurz die Dämme geöffnet wurden und das Wasser in seinem ursprünglichen Bett hinabrauschte, hatte ich gerade verpasst.
Trotzdem war das Bauwerk spektakulär. Nicht zuletzt wegen der Eisenbahn- und der Autobrücke, die ebenfalls den Wasserfall überspannten. Mir fällt gerade kein Ort ein, der von drei Brücken in unterschiedlicher Höhe überspannt wird.
Am Himmel brauten sich Wolken zusammen und ich fuhr weiter Richtung Vänernsee – mitten ins Gewitter. Der Wind peitschte den Regen auf die Scheibe und die Blitze zuckten um mich herum. Beeindruckend und beängstigend zugleich fand ich einen Blitz, der vor mir senkrecht in die Erde ging und wie ein aufblitzender Faden flackernd für mehrere Sekunden Himmel und Erde miteinander verband. Ich war froh, im Auto zu sitzen und nicht draußen diesem Unwetter schonungslos ausgeliefert sein zu müssen.
Die Stellplatzsuche am Vänern war schwierig. Es gab kaum Möglichkeiten, überhaupt irgendwo parken zu können und auf den Parkplätzen war das Übernachten leider meistens verboten. Auf dem Hunneberg, einem Tafelberg direkt am Vänern, fand ich einen schönen Parkplatz mitten im Wald, auf dem ich eine Nacht bleiben konnte.
Das Gewitter zog auf den See hinaus und ich machte einen Spaziergang durch den wunderschönen verwunschenen Urwald. Ich hoffte einen Elch zu sehen, denn auf dem Berg sollte es zahlreiche geben, aber leider zeigte sich keiner. Dafür fand ich einige Pfifferlinge, die das Abendbrot zu einer Delikatesse machten. Ich genoss die Aussicht über den drittgrößten See Europas, der mit seinem unendlichen Horizont eher Meerfeeling aufkommen ließ.
Meerfeeling – ein gutes Stichwort. Es war ja immer noch so heiß, aber an der Küste zeigte mir meine Wetterlandkarte einen kühlen Ort an und schwedische Schärenlandschaft ist ja auch schön. Also hin da. Ich schlenderte noch etwas durch Vänersborg, eine Kleinstadt mit verspielten Holzhäusern an der Südspitze des Sees, tankte meinen Wasserkanister auf und machte mich auf den Weg nach Westen. Das Autothermometer zeigte 30°C und die Luft flimmerte über dem Asphalt. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es an der Küste kühler sein würde. Wenige Kilometer vor dem Hafenort Smögen sah ich eine graue Wand am Horizont – Seenebel. Ich hoffte, dass der Nebel nicht in der Stadt hing und ich etwas Sonne hatte. Aber die Hoffnung auf kühlere Temperaturen stieg. Als ich Smögen erreichte, zeigte das Autothermometer 20°C. Draußen war es fast zu kalt für T-Shirt. Der Seenebel zog gerade auf das Skagerrak hinaus und machte der Sonne Platz.
Ich schlenderte durch den Ort, der mit seinen zahlreichen weiß gestrichenen Jugendstilhäusern elegant auf den Felsen lag. Im Hafen war viel los – alle wollten die kleinen, bunten Fischerhütten bestaunen, die sich eng an eine Felswand schmiegten.
Den Stellplatz für die Nacht fand ich auf der Insel Bohus-Malmön, einem kargen Eiland südlich von Smögen. Die Insel war karg. Es gab nichts als Steine, die von etwas Moos überzogen waren. Die Landschaft erinnerte an eine Mondlandschaft und stand in starkem Kontrast zu den artenreichen Urwäldern, die ich auf der Paddeltour gesehen hatte und dem belebten Smögen. Ich machte es mir im Bus gemütlich und genoss den Sonnenuntergang über dem Meer.
Irgendwie war ich müde. Die letzten Arbeitsmonate hatten sehr an mir gezehrt und mir war eher nach Entspannung als nach actionreichen Entdeckungsreisen. Ich wollte nach Hause, wo es etwas kühler war. So trat ich am nächsten Tag den Weg Richtung Süden an. Kurz vor Helsingborg legte ich noch einen Zwischenstopp ein und machte eine Wanderung durch das Naturreservat Hovs Haller. Das Gebiet liegt an der Spitze der nördlichen Landzunge über Helsingborg und überzeugt durch eine malerische Hügellandschaft, schroffe, felsige Steilküsten und weite Geröllstrände. Alle sagen immer, Skåne sei so langweilig. Ich kann das nicht bestätigen. Natürlich entspricht es nicht dem, was man als erstes mit Schweden verbindet: rote Holzhäuschen, endlose Wälder und einsame Seen. Wer aber abseits dieses Klischees auch für andere Landschaften offen ist, wird von der Vielfalt Schwedens überrascht sein. Am Nachmittag setzte ich mit der Fähre nach Dänemark über und machte noch einen Abstecher nach Røsnæs, einer grasbewachsenen idyllischen Landzunge mit einem schönen Leuchtturm.
Kurzzeitig überkam mich die Nordseesehnsucht. Warum nicht noch einen Abstecher machen? Ich hatte ja Zeit. Mittags erreichte ich Hvide Sande. Ich schlenderte den endlosen Nordseestrand entlang und briet zwischen den Dünen in der Sonne. Dann musste ich mich auf Stellplatzsuche begeben. Aus den letzten Jahren wusste ich, dass dies an der Nordseeküste ziemlich schwierig ist. Freistehen ist in Dänemark grundsätzlich verboten, wird aber an der Ostküste toleriert, während es an der Westküste unmöglich ist und streng kontrolliert wird. Es gibt viele offizielle, kostenpflichtige Stellplätze. Die liegen aber häufig im Industriegebiet oder hinter den Dünen und sind nicht wirklich schön. Ich fuhr etwas ins Landesinnere und fand schließlich westlich des Ringkøbingfjords am Rand eines Vogelschutzgebiets einen schönen Übernachtungsplatz. Vom Parkplatz aus startete eine Wanderroute in das Naturschutzgebiet. Den nahegelegenen Fluss musste man mit einer Seilfähre überqueren, die man selbst per Hand betreiben musste. Ich konnte es nicht lassen und musste die Fähre ausprobieren. Während die Hinfahrt mit Rückenwind fast von alleine ging, glich die Rückfahrt einem Extremsport, da sich die floßartige 20-Personen-Fähre gegen den Wind alleine nur schwer bewegen ließ. Außerdem waren die Blasen von meiner Paddeltour immer noch nicht komplett verheilt, sodass ich mit den Händen vorsichtig sein musste.
Das Vogelschutzgebiet war schön. Ich sah viele Vögel, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. U.a. Löffler, weiße Vögel, ungefähr so groß wie ein Fischreiher, mit langem Schnabel, der vorne eine breite, löffelartige Spitze hatte.
Am nächsten Morgen regnete es. Es war Zeit, den Heimweg anzutreten. Zuhause schien die Sonne, es war angenehm warm und perfekt, um noch ein paar entspannte Urlaubstage im schönen Schleswig-Holstein zu verbringen.
Fotos von der Reise gibt es hier