Femunden – die Jahreszeiten rückwärts
Mit vollgepacktem Camper machte ich mich bei Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen auf den Weg nach Norden. Im Gepäck: Essen, Wanderausrüstung und Kleidung für Temperaturen von 0-25°C. Das Ziel: der Femunden in Norwegen.
An der deutsch-dänischen Grenze wurde ich auch dieses Mal wieder mit gelangweilter Mine durchgewunken und ich konnte meine Fahrt ohne Unterbrechung bis Grenå fortsetzen, wo ich über Nacht mit der Fähre nach Schweden übersetzte.
Am nächsten Morgen wachte ich um 5 Uhr auf. Draußen war bereits Land in Sicht. Die Morgensonne war schon ungewöhnlich warm und draußen roch es nach schwedischem Nadelwald und feuchtem Moos.
In Varberg durfte ich mit den ersten Autos von der Fähre rollen. Doch bereits auf der Rampe vom Schiff nach unten bildete sich Stau. Unten stand ein Zollmensch, winkte jedes Auto raus, interviewte die Insassen und entschied, wer kontrolliert werden sollte und wer weiterfahren durfte.
Ich befürchtete schon eine gründliche Durchsuchung meines Busses, der auf den ersten Blick gar nicht nach Campingbus aussieht und versuchte die Unschuldsmine eines kleinen, braven Mädchens aufzusetzen. Die Beamtin fragte mich auf Englisch, was ich in Schweden wolle.
„Wandern.“ Antwortete ich.
„Wie lange?“
„12 Tage.“
„Und wo?“
„Grövelsjön-Gebiet.“ (So heißt das Gebiet auf der schwedischen Seite des Femunden)
„Hm… und haben Sie ein Hotel gebucht oder wo wollen Sie schlafen?“
„Nein, ich schlafe in meinem Bus“ antwortete ich und zeigte nach hinten in den Laderaum. Sie zog eine strenge Mine und verwies mich in die Kontroll-Reihe. Von dort konnte ich beobachten, wie die Insassen aus den ersten Autos ihren Kofferraum ausräumten.
Ein weiterer Beamter fragte mich, was ich in Schweden wolle, wie lange ich bleiben wolle, wo ich hin wolle und wo ich übernachte. Ich erzählte ihm von meinem Vorhaben und zeigte ihm die Region auf der Landkarte. Dann sollte ich den Laderaum öffnen. Ich ließ ihn und seinen Kollegen, der dazugekommen war, in die Kisten und in den Schrank schauen. „Hast du den Ausbau selbst gebaut?“ fragte mich der jüngere. „Ja.“ „Oh, that´s very nice!“.
Der ältere gab auf Schwedisch noch zu bedenken, dass das ja etwas viel Gepäck für eine Person sei, da sollte ich schon meine Wertsachen nehmen und den Beamten den Schlüssel geben. Sie erklärten mir, dass sie den Bus röntgen würden um sicherzustellen, dass ich keine illegalen Dinge nach Schweden einführen würde. Während der ältere mit meinem Bus davon fuhr, interviewte der jüngere mich weiterhin. Wie oft ich schon in Schweden war, ob ich noch andere skandinavische Länder besucht hätte und ob ich sowas immer machte und alleine? Wo ich in Deutschland wohne und was mein Beruf ist. Ich fragte mich schon nach dem Sinn dieses Verhörs, doch als er auf meine Bemerkung, dass ich schon mehrfach in Schweden und Norwegen war, aber erst einmal in Finnland meinte „naja, in Finnland reden sie ja auch komisch“, wusste ich, dass es wohl mehr privates Interesse war und so wurde daraus eine ganz nette Unterhaltung.
„Hast Du keine Angst?“ fragte er mich noch. Ich zuckte mit den Schultern. Wovor? „So alleine Urlaub machen?“ ich verneinte. „Weil in Schweden kam es auf öffentlichen Rastplätzen in den letzten Jahren vermehrt zu Auto-Einbrüchen“ gab er zu bedenken. Aha. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Er gab mir noch den Tipp, nie alleine auf offiziellen Rastplätzen direkt an der Straße zu stehen und eher einsame, abgelegene Plätze für die Nacht aufzusuchen, da diese sicherer wären. Dann kam schon der Kollege mit meinem Bus zurück und gab mir den Schlüssel. „It´s okay. Have a nice trip!“.
Ich verließ Varberg und suchte mir einen schönen Platz am Meer zum Frühstücken. Der Rat des Zollbeamten stimmte mich etwas nachdenklich. Wenn meine etwas überängstliche Mutter mich vor Einbrüchen warnt, ist das eine Sache aber wenn mich schon der schwedische Zoll davor warnt? Ich beschloss den Ratschlag ernst zu nehmen und mich ansonsten auf meine bisherigen guten Schweden-Erfahrungen zu verlassen.
Ich frühstückte in einem Naturreservat auf einer Bank mit Meerblick, machte einen Spaziergang durch eine lieblich-raue Heidelandschaft und machte mich weiter auf den Weg nach Norden, da an Schlafen aufgrund der Hitze erstmal nicht zu denken war.
Ich besichtigte den Wasserfall in Trollhättan, der leider nur ein kleines Rinnsal war, da die Wassermassen an dem beeindruckenden Flussbett vorbei in ein Kraftwerk geleitet wurden.
Am Nordufer des Vänern fand ich bei Duse Udde Camping eine schöne Felsenbadestelle mit sonnengewärmten Granitfelsen und täuschend echtem Meerblick wo ich meinen Schlaf nachholen konnte.
Ausgeschlafen fuhr ich weiter gen Norden. Nördlich des Vänern wurde die Landschaft bergiger und die Wälder größer und dichter. Die Straße führte an deinem See entlang und auf einmal war ich in dem Schweden, das ich kannte: endlose Waldhügel, Seen und rote Häuschen.
Nur die Stellplatzssuche gestaltete sich als schwierig, da die Badestellen keine Parkplätze hatten und die Gegend ansonsten recht dicht besiedelt war. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu zwei Wohnmobilen und einem LKW auf einen offiziellen Rastplatz etwas abseits der Hauptstraße mit Blick auf den Hansjön zu gesellen.
Am nächsten Morgen fuhr ich im Regen weiter nach Norden. Die Landschaft wurde bergiger, die Wälder dichter und die Abstände zwischen Dörfern und Höfen größer. Während die Laubbäume in Varberg bereits ein dichtes Blätterkleid trugen, wurden die Blätter an den Birken zunehmend kleiner, bis nur noch bei genauem Hinsehen kleine Knospen erkennbar waren. In einem Dorf standen die Schneemobile aufgereiht und bereit für den Sommer eingemottet zu werden. An einer Badestelle warteten Badeinseln an Land auf den kurzen Sommer und der vertrocknete Mitsommerbaum vom letzten Jahr ließ nicht vermuten, dass er bereits in 4 Wochen erneuert werden sollte.
Die erste Station war das Fulufjäll, einer der südlicheren Gebirgszüge in Schweden, in dem es Bären und Wölfe gibt, die ich aber leider (oder auch zum Glück) nicht zu Gesicht bekam.
Ich lief einen Rundweg zu Schwedens höchstem Wasserfall, den ich zunächst von unten und, nachdem ich den Berg erklommen und einige Schneefelder überquert hatte, von oben bestaunen konnte. Der Weg führte an der Kante des Fjälls zurück zum Parkplatz. Auf der einen Seite verlor sich die Hochebene des Fulufjälls im Nebel der tiefhängenden Wolken, auf der anderen Seite bot sich ein atemberaubender Blick über das tannengrüne Fuludalen in die endlose, unberührte Bergwelt des Nordens.
Am Parkplatz angekommen fuhr ich die letzten 100 Km weiter ins Idrefjäll. Unterwegs trabte einige 100m vor mir ein Elch über die Straße und Rentiere grasten am Straßenrand.
Am Fuß des Idrefjälls fand ich schließlich einen schönen Stellplatz auf einem Parkplatz direkt an einem kleinen See und genoss den Sonnenuntergang bei kaltem Wind mit einer Tasse warmem Tee.
Am nächsten Morgen regnete es. Ich beschloss, mir den Tag vom Wetter nicht verderben zu lassen und fuhr die Straße hinauf ins Fjäll. Oben ging der Regen in Schnee über. Die Wolken hingen tief aber die Sicht war gut die erste Hälfte der Tour hatte ich wieder einen schönen Blick in die endlosen Weiten der Wildnis. Auf der zweiten Hälfte der Wanderung führte der Weg durch einen verwunschenen Urwald. Mit Flechten verhangene Bäume standen auf dickem Moos. Zwischendurch moderten einige tote Bäume und überall wuchsen Blaubeersträucher (noch ohne Blätter und Beeren).
Wieder am Parkplatz angekommen breitete ich meine nassen Sachen zum Trocknen aus und fuhr weiter nach Norden an den Rogen. Die Straßen wurden immer schmaler, kurviger und schlaglochreicher, sodass ich nur noch max. 70 km/h fahren konnte. Dies war das Reisetempo für den Großteil des Urlaubs und für deutsche Verhältnisse vertretbare Distanzen von 100 Km wurden zu längeren Fahrten von 1,5-2 Std.
Dafür war die Sicht auf weite Moorlandschaften, teilweise noch gefrorene Seen und schneebedeckte Berge am Horizont eine schöne Entschädigung. Manchmal fuhr ich durch kleine Dörfer und ich fragte mich, wie die Menschen hier wohl lebten. Die Lage: mindestens 200 Km bis zur nächsten größeren Stadt, in der es etwas mehr gab als eine Tankstelle und einen Supermarkt, Ende Mai noch braune Bäume und braunes Gras, vereinzelt noch Schnee und von Grün keine Spur. Den Infotafeln zufolge spielte die Rentierzucht in dieser Region eine große Rolle. Und ich sah auf dem Weg immer wieder Rentierherden, die am Straßenrand an den Flechten knabberten. Aber kann man von der Rentierzucht leben?
Da zwischen der Winter- und Sommersaison unterwegs war, waren nicht nur die Touristeninformationen geschlossen sondern auch die Straße gesperrt, die mich möglichst nah an den Rogen heranführen sollte. Immerhin war direkt neben der Absperrung ein schöner Stellplatz direkt an einem kleinen See. Um 22:30 Uhr gab es zum Abschluss des Tages noch ein schönes Abendrot, in der Nacht wurde es jedoch nie richtig dunkel.
Am nächsten Morgen schien die Sonne und was war sogar verhältnismäßig warm. Der alternative Wanderweg, den ich gefunden hatte, führte über sandigen Boden durch einen lichten Kiefern- und Birkenwald vorbei an zahlreichen kleinen Seen, die noch mit einer dicken Eisschicht bedeckt waren. Immer wieder erschreckte mich ein Auerhahn fast zu Tode, der mit lautem Flügelklatschen die Flucht vor mir ergriff, ansonsten war es still.
Ab und zu kam ich an kleinen Hütten vorbei, die mitten im Nichts am Ufer eines Sees gebaut worden waren. Ich fragte mich, wie die Menschen wohl das Werkzeug, Baumaterial und Möbel dorthin transportiert hatten, denn ich war schon ca. 2,5 Std. durch die Wildnis gelaufen.
Vielleicht im Winter? Schließlich führte durch die flachen Moore eine Schneemobilstraße, die im Sommer jedoch nicht befahrbar war, im Winter den Weg zum Rogen allerdings erheblich erleichtern konnte.
Bevor ich am Ufer des Rogen ankam, wurde die Luft merklich kühler. Der Rogen war noch fast ganz zugefroren und die Eismassen auf dem großen See strahlten wie ein Kühlaggregat die Kälte in die Umgebung. Der Eis-See erstreckte sich bis zu glänzend weißen schneebedeckten Gipfeln am Horizont.
Das Ziel am Abend war das Hamrafjäll, an dessen Fuß ich an einem schönen Platz mit Bergblick übernachtete. Am nächsten Morgen waren die Scheiben gefroren. Der Frost taute jedoch schnell weg, als die Sonne über den Berg kam. Der Aufstieg führte durch einen braunen Laubwald. Der Boden war mit zahlreichen Blumentrieben übersät und hin und wieder blühte ein Seidelbast.
Vom Gipfel aus hatte ich einen schönen Blick auf die umliegenden schneebedeckten Berge und das Funäsdal mit seinen vielen Seen, dir durch einen Fluss miteinander verbunden waren.
Die Grenzüberquerung nach Norwegen verlief zum Glück unspektakulär. Ich merkte nur an den anderen Straßenschildern und am neuen Asphalt, dass ich die Landesgrenze überquert hatte. Die Zollstation einige Kilometer hinter der Grenze ignorierte ich einfach. Schließlich hatte ich auch nichts zu verzollen.
Nordöstlich der Stadt Røros fand ich einen traumhaften Stellplatz oberhalb der Baumgrenze mit bestem Panoramablick auf bis zu 100 Km entfernte Berge.
Der nächste Tag war verregnet und ich verbrachte die meiste Zeit des Tages mit essen, lesen und schlafen im Bus. Ich machte nur einen kurzen Spaziergang zu einer nahegelegenen alten Kupfermine, die bis in die 70er Jahre hinein noch aktiv war. Die Häuser der Kupferminen standen verloren in einer kupferfarbenen Wüste aus Erz-Geröllhalden und Stauseen. Die abgestorbene braune Winterlandschaft und die tiefhängenden grauen Wolken verliehen dem Ganzen einen relativ tristen Eindruck.
Als es am nächsten Morgen immer noch regnete, war ich froh, einen Campingbus zu haben, mit dem ich einfach losfahren konnte und kein nasses Zelt einpacken musste. In Røros studierte ich in einem Supermarkt auf der Zeitung den Wetterbericht. Im Süden sollte es besser sein. Also beschloss ich zur Südspitze des Femunden zu fahren wo ich eigentlich erst am nächsten Tag sein wollte.
Nach einigen Kilometern hörte es auf zu regnen und als ich in Elgå ankam, blinzelte sogar vereinzelt die Sonne durch die Wolken. Der Femund lag kristallklar in der stillen Landschaft und die schneebedeckten Berge spiegelten sich in der glatten Oberfläche. Am Ufer schwammen noch ein paar Eisschollen, ansonsten war der See eisfrei. Die Landschaft erinnerte mich an Bilder von Kanada und Alaska, die ich bereits gesehen hatte.
Abends fand ich einen schönen Stellplatz direkt am Ufer des Sees.
Am nächsten Tag war der Sommer ausgebrochen. Die Sonne brannte vom Himmel und am See ließ es sich sogar in kurzer Hose und T-Shirt aushalten. Nur auf dem Vardfjäll in fast 1000m Höhe war es etwas kühler. Dafür war die Sicht auf die umliegenden Berge und den darin eingebetteten Femunden wieder umso schöner. Von dort konnte ich die gesamte Region in der ich die letzten Tage wandern war, überblicken. Vom Fulufjäll am südlichen Horizont schweifte mein Blick über das Idrefjäll zu den schneebedeckten Bergen, die ich auch vom Rogen aus gesehen hatte, über die etwas niedrigeren Berge bei Røros bis zum Sølen-Massiv südwestlich des Femunden.
Den Nachmittag genoss ich an einem noch schöneren Stellplatz direkt am See: das Wasser war von meiner Bustür nur 5m entfernt.
Am nächsten Tag fuhr ich über Gjøvik, wo ich noch einen Freund besuchte, wieder gen Süden und kam schließlich nach 2,5 Tagen überwiegender Autofahrt wieder in Kiel an.
Insgesamt bin ich ca. 2700 Km gefahren und etliche Kilometer gewandert. Ich habe zahlreiche Rentiere, einen Elch, Auerhähne und Fasane, eine Schlange, eine Wildkatze und einen Fuchs gesehen und habe die Jahreszeiten rückwärts und verdreht erlebt: Sommer, Frühling, Winter, Frühling, Sommer. Dabei waren die Tage im Winter fast endlos. Die ganze Nacht war es so hell, dass es fast zum Lesen gereicht hätte. Je weiter ich in den Süden kam, desto sommerlicher wurde es: die Bäume wurden grüner und die Temperaturen stiegen. Dafür wurden die Tage kürzer und es war bereits um 23:00 Uhr stockdunkel. Das war in den letzten Nächten auf der Rückfahrt schon fast ungewohnt.
Fotos von der Reise gibt es hier