Wohnungssuche
Wie alle Menschen möchten auch Menschen mit Behinderung gerne in ihren eigenen vier Wänden leben. Gerne in einem grünen, ruhigen Stadtteil, in einer schönen Wohnung oder sogar auf dem Land. Leider ist die Wohnungssuche in fast allen größeren deutschen Städten schwierig. Bezahlbarer Wohnraum wird immer weniger, was die Wahlfreiheit des Wohnortes schon stark eingrenzt. Für Menschen mit Behinderungen kommen noch einige Hürden dazu. Viele denken bei Menschen mit Behinderung im Zusammenhang mit Wohnung als erstes an Rollstuhlfahrer, die eine barrierefreie Wohnung brauchen.
Von den Menschen, die ich im Alltag begleite, sitzt niemand im Rollstuhl, sie sind sogar ziemlich gut zu fuß. Ist doch super, mag man jetzt denken, die können doch in jede Wohnung ziehen. Nein. Nehmen wir Paul. Er ist 20 Jahre alt, hat eine Lernbehinderung und bisher in Einrichtungen der Jugendhilfe gewohnt. Nun muss er dort ausziehen, weil er zu alt ist. Paul arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, wo er 150,00€ im Monat verdient. Dazu erhält er 416,00€ Grundsicherung vom Staat und die Kosten für eine angemessene Wohnung. Paul ist ein ruhiger Zeitgenosse. Wenn er nachmittags von der Arbeit kommt, geht er einkaufen, erledigt die anfallenden Aufgaben im Haushalt und verbringt seine Freizeit mit Freunden, Fernsehen oder PC-Spielen. Zu anderen Menschen ist Paul stets freundlich und zugewandt.
Die Wohnungssuche gestaltet sich für Paul sehr schwierig. Die Miete kann er nicht aus eigenen Mitteln bestreiten, die bezahlt die Grundsicherung für ihn. Die bezahlt aber keine Schloss und keine Loft sondern eine angemessene Wohnung. Für eine Person in einer Schleswig-Holsteinischen Großstadt bedeutet das konkret: Maximal 50m² für 374,00€. Mit dieser Summe müssen die Kaltmiete und die kalten Nebenkosten bereits abgedeckt sein. Warmwasser und Heizkosten werden von der Grundsicherung gesondert übernommen, Strom muss Paul aus eigener Tasche bezahlen. Wer selbst zur Miete wohnt, weiß, dass 374,00€ für eine Wohnung nicht viel sind. Wer ein Eigenheim besitzt, kann sich mit einem Blick in den aktuellen Mietspiegel einen Überblick über die Lage verschaffen. Die Mieten, die von der Grundsicherung übernommen werden, variieren in den Städten, d.h. in teureren Städten wie z.B. München oder Hamburg werden auch höhere Mieten übernommen, aber es bleibt überall gleich: die Anzahl der in Frage kommenden Wohnungen schrumpft auf eine überschaubare Anzahl.
Gemeinsam mit seiner Betreuerin sucht Paul im Internet nach einer Wohnung. Es fällt ihm schwer, die Angaben zu verstehen. Was heißt Kaltmiete? Was ist mit Warmmiete gemeint? Manchmal sind die Kosten nicht ganz eindeutig ausgeschrieben und es geht aus der Anzeige nicht hervor, ob die Wasserkosten bereits in der Miete enthalten sind oder ob ein extra Vertrag für Wasser geschlossen werden muss. Die Betreuerin hilft Paul durch den Dschungel der vielen Angaben. Endlich hat Paul eine schöne 1-Zimmer-Wohnung gefunden. Die Bruttokaltmiete liegt mit 365,00€ innerhalb des Satzes und die Wohnung lockt in der Internetanzeige mit neuem Laminat, Einbauküche, Badewanne und sogar Balkon. Sie befindet sich im 4. Stock eines 10 geschossigen Betonklotzes in einem sog. sozial benachteiligten Stadtteil am Stadtrand. Die Busanbindung in die Innenstadt ist gut und auch Geschäfte und Ärzte gibt es in fußläufiger Nähe. Eigentlich würde Paul lieber in der Innenstadt wohnen, wo die Wege kurz sind, doch dort sind die Wohnungen für Paul unbezahlbar. Paul vereinbart bei der Hausverwaltung einen Besichtigungstermin.
Als er gemeinsam mit seiner Betreuerin zur Wohnung fährt, wartet dort bereits eine größere Gruppe Menschen, die sich alle für diese Wohnung interessieren. Paul zählt 30 Menschen. Macht nichts, denkt er und sieht sich die Wohnung an. Sie hält, was sie im Internet versprochen hat: helle Räume, schöne, neue Fußböden in Holzoptik, eine bescheidene aber gepflegte Einbauküche mit Ceran-Kochfeld, ein schlichtes, weißgefliestes Badezimmer und ein Balkon mit schönem Ausblick ins Grüne. Paul gibt dem freundlichen Herren von der Hausverwaltung seinen Selbstauskunftsbogen, auf dem er sorgfältig seine Daten und seine Einkünfte aufgeschrieben hat. Außerdem hat er den Grundsicherungsbescheid sowie die letzten drei Gehaltsabrechnungen beigelegt. Nun heißt es Daumen drücken, hoffen und warten.
Würde Paul eine Zusage bekommen, müsste er zunächst ein Wohnungsangebot der Hausverwaltung mit einer detaillierten Auflistung der Kosten an das Grundsicherungsamt schicken. Die Grundsicherung muss dem Wohnungsangebot und der damit verbundenen Übernahme der Miete erst zustimmen, bevor Paul den Mietvertrag unterschreiben kann.Nach 2 Wochen hat Paul noch nichts gehört. Gemeinsam mit seiner Betreuerin ruft er bei der Hausverwaltung an und fragt nach. Leider wurde die Wohnung an eine andere Person vergeben, da Pauls Einkünfte zu gering sind. Wohnungen werden nur an Menschen vergeben, deren Einkünfte drei Mal so hoch sind, wie die Miete. Pauls Einkünfte betragen 566,00€. Für die Wohnung, die er besichtigt hat, müsste er 1095,00€ an monatlichem Einkommen haben. Dass die Miete bei Paul von der Grundsicherung übernommen wird, die die Miete zuverlässiger als mancher Mieter bezahlt, interessiert die Hausverwaltung nicht. Die Miete sollte maximal 30% des Einkommens betragen.Die Suche geht weiter, aber Paul muss sehr lange suchen. Schließlich bekommt er über einen Verein, der Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt anmietet und an Menschen mit Behinderung untervermietet, ein Zimmer in einer WG. Das Zimmer gehört zu einer 2-Zimmer-Wohnung, die er sich mit einem Mitbewohner, der ebenfalls ambulant betreut wird, teilt. Die Wohnung liegt im gleichen Viertel, in dem sich Paul auch schon die Wohnung angeschaut hat. Im Haus leben viele ältere Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, Langzeitarbeitslose und Menschen mit Behinderung und unterschiedlichen Assistenzbedarfen. Kontakt zu Menschen ohne Behinderung aus einkommensstärkeren Verhältnissen hat Paul kaum. Diese Menschen leben in anderen Vierteln. Paul lebt in seiner Wohnung also wieder unter seinesgleichen.