Auf der Nordseestraße durch Südnorwegen
Nachdem ich den Sommer wegen jobwechselbedingter Urlaubssperre zuhause verbrachte, packte mich im September wieder das Reisefieber. Aber wohin sollte ich fahren? Schöne, einsame Landschaft sollte es auf jeden Fall sein. Nicht so weit weg wäre auch schön und gutes Wetter hätte eigentlich auch was. Für die ersten beiden Kriterien kam Norwegen gut in Frage. Beim guten Wetter stritten sich die Reiseführer (September=beste Reisezeit) mit den Niederschlagsdiagrammen (September=regenreichster Monat des Jahres). Ich las mich noch durch diverse Internetforen und Reiseberichte, die alle den September als gute Reisezeit empfahlen und machte mich auf gen Norden.
Nach 5 Stunden Dänemarkdurchquerung und 3 Stunden Fährüberfahrt, kam ich kurz nach Mitternacht in Kristiansand an. Über enge Straßen kurvte ich einige Kilometer durch die Nacht zu einem Parkplatz direkt am Meer, den ich mir zuhause bereits über Google Earth ausgesucht hatte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich direkt unter einem „Camping Verboten“-Schild geparkt. Aber mich hatte zum Glück niemand bemerkt und mein Bus, der genaugenommen ein Transporter ist und keine Seitenfenster hat, sieht auch auf den ersten Blick nicht nach Wohnmobil aus.
Die Landschaft war bereits sehr beeindruckend. Die Küste war sehr felsig und das Wasser war trotz des grauen Himmels türkies-grün. Bei Sonnenschein musste hier Karibikstimmung aufkommen. Allerdings luden die Scharen von Feuerquallen nicht unbedingt zum Baden ein.
In Lindesnes, Norwegens Südkap fing es an zu nieseln. Trotzdem machte ich eine Wanderung über die karge Felsküste und genoss den Ausblick über das Felsmeer auf der einen und die Nordsee auf der anderen Seite. Der Weg führte zum Teil direkt am Wasser entlang wo die Wellen vom Südost-Wind getrieben weit unter mir gegen die Felsen donnerten.
Bereits hier fielen Reste von Schießanlagen und zahlreiche kleinen Bunker auf, die unterhalb des Leuchtturms in den Fels gesprengt waren. Heute waren sie teilweise zu kleinen Ausstellungsorten für Kunst umgebaut oder dunkle, vermüllte Löcher.
Im strömenden Regen fuhr ich weiter nach Westen zu Lista Fyr, wo ich am nächsten Morgen bei strahlendem Sonnenschein aufwachte. Zunächst wollte ich zwei Hügelgräber besichtigen. Auf dem Weg dorthin sah ich zwei Militärschiffe aus der angrenzenden Bucht fahren, die die sonnige Stimmung etwas trübten. Als ich dann noch zwei Jägern begegnete, die mich mit Gewehren auf dem Rücken und in der Hand skeptisch ansahen, beschloss ich, die Hügelgräber später zu besichtigen.
Durch einen dichten Nadelwald wanderte ich über ungewöhnlich plattestes Land zum Leuchtturm Lista Fyr. Vom Leuchtturm aus hatte man einen schönen Blick über die Landschaft. Im Hintergrund türmten sich die Berge, die sich als Felsenband an der Küste entlang zogen. Im Vordergrund grasten Schafe auf den flachen Weiden, die mit tausenden runden Steinen übersät waren. Die Weiden grenzten direkt an den steinigen Strand. Ich war etwas verwundert, dass sie nicht durch einen Deich oder eine sonstige Küstenschutzanlage vom Meer getrennt waren. Schließlich Lagen die Wiesen direkt an der Nordsee, wo bei entsprechender Windrichtung die Wellen mit mehreren hundert oder gar tausend Kilometern Anlauf aufs Land donnern konnten.
Für den nächsten Tag war Regen angesagt. Die Brufjellhöhlen, meine nächste Station, sollten laut der Wanderführer allerdings nur bei trockenem Wetter besucht werden, da der Abstieg zu den Gletscherhöhlen trockenen Fels erforderte. So besichtigte ich bei bewölktem Himmel Flekkefjord. Die Altstadt entstand während des blühenden Holzhandels Mitte des 17. Jahrhunderts und wurde einst von Holländern gebaut. Daher ist die im Schachbrettstil angelegte Altstadt auch als Holländerstadt bekannt. Die schmalen Gässchen sind von weißen Holzhäusern gesäumt. In der Fußgängerzone schmückten Wimpelketten die Straßen und in den Nebenstraßen sorgten bunt bepflanzte Blumenkästen für farbliche Abwechslung zwischen den weißen Häusern vor dem novembergrauen Himmel.
In der Nähe der Brufjellhöhlen fand ich am Ende eines Tals einen schönen Stellplatz direkt an einem Stausee. Abends beobachtete ich noch einen Schützen, der unweit von meinem Bus auf dem Stausee auf Tontauben schoss. Die Schüsse hallten laut zwischen den engen Felswänden und ich war froh, als der Schütze nach erfolgreicher Jagd wieder abfuhr und ich nur noch den Regen hörte, der inzwischen unermüdlich auf das Busdach niederprasselte.
Am nächsten Morgen wurde ich vom Regen aufgeweckt. Kein Wetter für die Brufjellhöhlen.
Der Regen wollte auch nicht aufhören und prasselte den ganzen Tag nahezu ununterbrochen auf meinen Bus ein. Die grauen Wolken hingen tief zwischen den hohen Felswänden – von Sonne keine Spur. Ich verbrachte den Tag im Bus und hoffte, dass meine Wetter-App rechtbehalten sollte und am nächsten Tag die Sonne schien. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es still. Ein gutes Zeichen, dachte ich, aber der Himmel war grau. Beim Frühstück fing es wieder an zu regnen, aber gleichzeitig wurde es heller und die Sonne kam heraus und malte einen Regenbogen über das Tal. Nach dem Frühstück regnete es immer noch, aber der helle Himmel am Ende des Tals deutete auf gutes Wetter an der Küste hin. Ich fuhr die Schotterstraße zurück nach Åna Sira und weiter an die Küste zu den Brufjellhöhlen. Auf dem Wanderparkplatz schien die Sonne von einem wolkenlos blauen Himmel.
Der Weg führte durch ein verträumtes, kleines Fischerdorf in einen lichten Birkenwald. Die Baumgrenze war jedoch schnell erreicht und es ging auf kargen Felsen weiter. Kurz bot sich ein atemberaubender Blick über die kahlen Berge auf die Nordsee, bevor es wieder ebenso steil zu einer blauen Lagune mit weißem Steinstrand bergab ging. Der Weg war sehr matschig und ich war froh, meine Stöcke dabei zu haben, mit denen ich den Boden auf seine Festigkeit erkunden oder mich abstützen konnte, um nicht in ungeahnten Matschlöchern zu versinken.
Der Abstieg zu den Brufjellhöhlen war laut der Infotafeln nur für erfahrene, schwindelfreie und trittsichere Bergsteiger empfohlen. Außerdem sollte der Abstieg nur bei trockenem Fels gewagt werden und es warteten wohl einige Kletterstrecken auf die Wanderer.
Die Infotafeln sollten nicht lügen. Die zweite Hälfte des Abstiegs ging durch ein Bachbett nach unten. Zunächst mussten nur kleinere und größere Felsblöcke überwunden werden. Dann wurde es sportlich: über zwei jeweils 5m lange Etappen ging es nur über in den Fels gehauene Metalltritte bergab. Der Rat, den Abstieg nur bei trockenem Fels zu wagen, entpuppte sich angesichts des Bachbetts in dem der Weg nach unten ging, als pure Ironie, da das Wasser unermüdlich von den Felsen tropfte und die Felsen gut feucht hielt.
Die Metalltritte waren jedoch mit einiger Überwindung gut begehbar.
Die Brufjellhöhlen lagen ca. 15m über dem Meer: runde größere und kleinere Löcher, die der Gletscher während der Eiszeit in den Stein geschliffen hatte. Ich genoss die warmen Sonnenstrahlen und den Blick aufs Meer, bevor ich mich wieder auf den Rückweg machte.
Auf der Nordseestraße fuhr ich weiter nach Westen. In engen Serpentinen ging es die nackten Felsberge hinauf, entlang an einsamen Seen und verkrüppelten Bäumen hinab nach Jössingfjord und Helleren. Die über 200 Jahre alten roten und hellblauen Holzhäuschen standen geduckt unter einem überhängenden Felsen, der den dort lebenden Menschen so viel Schutz vor Wind und Wetter bot, dass die Hütten kein richtiges Dach benötigten. Obwohl die überhängende Felswand gut 150 m hoch war, wirkte sie nicht bedrohlich auf die Hütten. Die Einrichtung der Hütten war spartanisch: ein Tisch mit Stühlen und ein Eckschrank, in dem noch uralte Schuhe lagen. Ob die wohl original waren?
Weiter ging es auf der Nordseestraße über die Berge zum nächsten Leuchtturm: Eigerøy Fyr. Ich fand einen schönen Stellplatz in einer hügeligen Weidelandschaft, die mit tausenden kleinen Steinen und größeren Felsen übersät war. In der Abendsonne wanderte ich querfeldein über die grünen Wiesen und genoss den Ausblick auf die ruhige, tiefblaue Nordsee. In einer stillen Bucht genoss eine Robbe auf einem Felsen den Abend und sah mich immer wieder skeptisch an.
Die Landschaft wirkte sehr bizarr und nahezu unberührt, würden nicht die Unmengen an Müll an Menschen erinnern. In jeder Felsspalte versteckten sich Plastikflaschen, Bälle, Autoreifen, Tonnen, Kanister, Seile, Kisten, Dosen, Handschuhe, und zahlreiche Bretter, ausgespuckt vom sturmgepeitschten Meer, als Warnzeichen, bewusster mit unserem Müll umzugehen.
Eigerøy Fyr thronte auf großen, rundgeschliffenen Felsen über der Nordsee. Immer wieder zogen über die Nordsee herein. Zwischendurch kam die Sonne heraus und malte bunte Regenbogen an die grauen Wolken.
Hinter Eigerøy Fyr wurde die Landschaft flacher. Die kargen Berge rückten in den Hintergrund und gaben Raum für fruchtbares Weide- und Ackerland. Überall weideten Kühe oder Schafe und es wurde viel Gemüse und Obst angebaut. Die Straße schlängelte sich durch zahlreiche kleine Dörfer und an weiten, unberührten Stränden vorbei. Da in den Bergen Dauerregen vorhergesagt war und ich auch sah, wie die dicken Wolken in den Bergen festhingen, beschloss ich meine Route zu ändern und an der Küste zu bleiben, wo es immerhin nur kräftige, kurze Schauer gab.
Die Landschaft war ganz anders, als das, was ich sonst von Norwegen kannte. Ich wanderte über saftige grüne Wiesen, die teilweise von tausenden Steinen übersät waren und bis ans Wasser reichten. Auch hier gab es keinen künstlichen Küstenschutz. Das Hinterland war nur an manchen Stellen durch Steilküsten geschützt. An anderen Stellen liefen die Wiesen sanft ins Meer. Hin und wieder kam ich an kleinen Fischerhäfen vorbei, die mich mit ihren alten Holzhäuschen an Gamla Hamn von Gotland erinnerten.
Den nächsten Tag verbrachte ich an unterschiedlichen Stränden. Die Sonne hatte ausnahmsweise gegen den Regen gewonnen, dafür war es sehr stürmisch. Schon beim Frühstück beobachtete ich ein Frachtschiff, dessen Bug wechselweise auf dem Horizont tanzte oder dahinter verschwand. Auch die Wellen am Strand hatten mit 1,5 – 2 m eine beachtliche Größe. Eine Freude für die zahlreichen Surfer. Für mich zum Schwimmen eher ungewohnt, aber die Nordsee lud mit ihren geschätzten 15°C sowieso nicht zum ausgiebigen Baden ein. Dafür waren die weiten Strände umso schöner zum Spazieren gehen. Oft war ich die einzige am Strand. Nur an den Surferhotspots tummelten sich die Massen. Ansonsten hatte ich die einsamsten Traumstrände ganz für mich alleine.
Abends prasselte wieder der Regen auf meinen Bus und auch am nächsten Morgen wurde ich davon geweckt. Langsam konnte ich das Geräusch von Regen auf dem Busdach nicht mehr hören. Trotz des schlechten Wetters beschloss ich auf den Synesvarden zu gehen. Die Wege waren nur schwer begehbar: große Teile waren überschwemmt und kleine Rinnsale, waren zu beachtlichen Bächen angeschwollen und konnten teilweise nur barfuß durchquert werden. Nur feucht aber fest erscheinende Stellen waren so aufgeweicht, dass mein Wanderstock ca. 30 cm darin versank und ich war mal wieder froh um meine Stöcke, mit denen ich vortasten konnte und die mich davor bewahrten, bis übers Knie im Schlamm zu versinken. Dafür war die Landschaft umso beeindruckender. Die Wolken rissen auf und gaben den Blick auf weite grasbewachsene Hügel frei. Überall grasten Schafe und Hochlandrinder auf den von Natursteinmauern begrenzten, saftigen Weiden. Regen und Sonne wechselten sich ab, auf der einen Seite schimmerte die Nordsee silbern am Horizont, auf der anderen Seite spannten sich bunte Regenbogen über die saftigen rötlich-grünen Grashügel.
Mitten in dieser idyllischen Graslandschaft stand die Steinskulptur „Mor Norge“ (Mutter Norwegen), die in der weiten, ausnahmsweise steinlosen Landschaft sehr deplatziert wirkte. Tatsächlich sollte sie auch in einer Schule in Stavanger stehen, doch die Pläne platzen und so kauften Fischer aus den umliegenden Dörfern die Steinfrau und transportierten sie über zwei Winter in die Heidelandschaft des Synesvarden.
Die Strecke nach Kristiansand fuhr ich mit einem Zwischenstopp in Lista Fyr ohne größere Pausen zurück. Das Navi hatte einen angeblich kürzeren Weg abseits der Nordseestraße gewählt und jagte mich über schmalste Bergstraßen, auf denen ich aufgrund der unübersichtlichen engen Kurven nur langsam fuhr. Sehr zum Leidwesen der Norweger, die mich, sobald die Straße gerade breit genug für zwei Kleinbusse war, auch an unübersichtlichen Stellen mit Gehupe überholten. Auch die Geschwindigkeitsbegrenzungen schienen die Norweger trotz der hohen Geldstrafen, die bei Verstößen drohten (10 Km/h < 200€), nicht zu interessieren. Da mir die Strafen jedoch zu teuer waren, hielt ich mich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen und wünschte mir manchmal ein Schild mit der Aufschrift „Hetzmich nicht!“ am besten auf Englisch, damit auch die drängelnden Norweger es verstanden.
Lista Fyr war nach der etwas stressigen Autofahrt ein wahrer Ruhepol. Wie eine Sonne sendete der Leuchtturm seine Strahlen in alle Richtungen in die sternenklare Nacht. Auf dem Meer blinkten Lichter von Fahrwassertonnen und Schiffen und die Wellen rauschten leise an den Strand.
Kristiansand war eine Stadt der Kontraste und entgegen der Behauptungen meines Reiseführers alles andere als langweilig. Die Straßen der Altstadt verliefen in dem für südnorwegische Städte typischen Schachbrettmuster und waren von klassischen weißen Holzhäuschen gesäumt. Das benachbarte Hafenviertel war von moderner, zweckmäßiger Architektur geprägt. Die Wohnungen schienen hell und hatten alle einen großzügigen Balkon zur Wasserseite hin. In den Fußgängerbereichen vor den Häusern gab es viele Grünflächen, gemütliche Sitzgelegenheiten und sogar einige Hochbeete sowie einen Obstgarten, in denen die Bewohner Obst und Gemüse anbauen konnten.
Ich übernachtete auf der Halbinsel Odderøya. Dort gab es nicht nur schöne Natur sondern auch viel Geschichte zu bestaunen. Zahlreiche Bunker- und Kanonenanlagen erinnerten an dunkle Zeiten und verliehen der ansonsten sehr lieblichen Landschaft einen leicht düsteren Eindruck. Besonders beeindruckend war der „Green Room“, ein nahezu leerer Raum in einem etwas zugewachsenen Bunker: Der Boden war mit grünem Kunstrasen bedeckt und in die Wandnischen waren leere Regale eingepasst. Mitten im Raum hing eine rote Schaukel mit der Aufschrift „Husker du?“ (Erinnerst Du Dich?) und von oben plärrte ein Radio die aktuellen Hits und Werbung blechern durch die kalten Mauern.
Ich kletterte die Leiter in den oberen Raum. Dort luden große Tafeln und Kreide zum Malen ein und die Sonne schien durch die Schießscharten auf die Kritzeleien, die Besucher hinterlassen hatten. Alles in allem eine Atmosphäre, die mich sehr nachdenklich stimmte.
Am Nachmittag zogen wieder dunkle Wolken herauf und als ich zum Fährterminal fuhr, begleitete mich wieder das vertraute Geräusch von Regentropfen, die auf den Bus prasselten. Zeit das Land des Regens zu verlassen und in den sonnigen „Süden“ Norddänemarks aufzubrechen.
Schöne Landschaft hatte ich in diesem Urlaub wieder viel gesehen und so weit weg war es auch nicht. Auf der gesamten Reise bin ich nur 1500 Km gefahren. Nur beim Wetter hätte ich mich auf die Niederschlagsdiagramme und nicht auf die Reiseführer verlassen sollen. Aber dank Campingbus hatte ich immer einen trockenen Rückzugsraum und musste kein nasses Zelt einpacken, was die ganze Reise trotz des vielen Regens sehr erträglich machte.
Fotos von der Reise gibt es hier.