Norwegen abseits der Massen
Durch die letzten Norwegenreisen war ich von dem löffelförmigen Nordland sehr fasziniert und ich fühlte mich von der weiten, kargen Gebirgslandschaft regelrecht angezogen. Daher war es naheliegend, das Land auch in diesem Jahr wieder als Urlaubsziel zu wählen.
Die typischen Sehenswürdigkeiten hatte ich in den letzten Jahren schon abgeklappert. Die Landschaft war schön, von den Menschenmassen war ich jedoch meist genervt, sodass ich dieses Jahr eine Route abseits der Massen wählte. Auf Google Earth sah ich mir das Land von oben an. Sah eine Landschaft aus der Luft spannend aus, vergewisserte ich mich per Google Streetview und Bildern von diesen Orten, ob es die Landschaft dort auch wirklich meinem Geschmack entsprach und markierte die Schönen Stellen. Nach und nach entstanden Punkte auf der Karte, die ich am Ende zu einer Reiseroute zusammenfügte. Aus einem in der Bibliothek ausgeliehenen Wanderführer und auf der Seite www.ut.no suchte ich nach schönen Wandertouren auf meiner Reiserroute, druckte die dazu passenden Karten aus und fuhr schließlich kurz nach der Sommersonnenwende gen Norden.
Kiel verließ ich bei Nieselregen, der Norden Dänemarks empfing mich mit strahlendem Sonnenschein. Der erste Zwischenstopp war Bullbjerg, ein hoher Felsen in der Jammerbugt im Norden Dänemarks. Aus 50m Höhe hatte ich einen wunderschönen Blick über die Nordküste Dänemarks mit ihren zerzausten Wäldern und sanften Grashügeln. Ich unternahm einen ausgedehnten Strandspaziergang und suchte abends nach einem schönen Stellplatz, was aufgrund der vielen Parkverbotszonen leider nicht ganz einfach war.
Am nächsten Tag fuhr ich weiter nach Hirtshals, wo ich abends mit der Fähre nach Norwegen übersetzte. Gegen 1:00 Uhr morgens kam ich bei abendlichem Himmel in Kristiansand an. Ein Zollbeamter stellte mir Fragen auf die ich höchst dämlich antwortete (Wo wollen Sie hin? Norwegen. Ach nee…). Ich war etwas überrumpelt, dass er mich anhielt aber er ließ mich trotz meiner dummen Antwort fahren, ohne meinen Bus genauer zu inspizieren.
Von Kristiansand fuhr ich auf der E39 nach Westen. Die Straße schlängelte sich zunächst durch grüne Hügel, später über kahle Felsberge. Mein erster Stopp war Sogndal Stranda, ein kleines Fischerdorf an der Küste. Der Weg auf den 300m hohen Årosåsen führte zunächst über saftige Schafsweiden, auf denen bunte Wildblumen blühten. Weiter oben durchquerte ich einige Wollgrasfelder und hatte vom Gipfelrundweg eine wunderschöne Weitsicht auf die Nordsee und die vorgelagerten Inseln.
Den nächtlichen Stellplatz teilte ich mir mit einigen anderen Wohnmobilisten aus Deutschland. Keiner kannte den Sogndal Stranda vorher, alle hatten sich aber aufgrund des Namens einen Sandstrand erhofft, den es dort aber nicht gab. Stattdessen konnten wir aber eine voll ausgestattete Küche, Dusche, Waschmaschine, Trockner und WLAN des Hafenhauses nutzen.
Weiter ging es auf dem RV44, auch Nordsjövegen genannt, nach Westen. Die Tour auf dem Kjerringsfjell war kurz aber schön. Der von Wildblumen gesäumte Weg führte durch verkrüppelte Birkenwälder auf eine schroffe, felsige Mondlandschaft. Schneller als erwartet war ich wieder beim Bus und fuhr weiter nach Westen wieder an die Küste. In Ogna erwartete mich ein strahlend weißer Sandstrand und türkiesblaues Meer. Hätte es statt Heckenrosen noch Palmen gegeben, wäre das Karibikfeeling perfekt gewesen. Nur zum Baden war das Wasser leider zu kalt und die vielen Fliegen machten das Sonnenbad in den zahlreichen einsamen Felsbuchten leider etwas unerträglich, sodass ich weiter zum Synesvarden fuhr. Letztes Jahr war ich von diesem weiten Grasland sehr fasziniert und erlebte bei zahlreichen Regenschauern, Wolkennebeln, Sonnenstrahlen und Regenbogen in dem herbstlich angehauchten Grasland schöne Farben- und Lichtspiele. Im Vergleich dazu wirkte die Landschaft in der hochsommerlichen Abendsonne unter dem knallblauen wolkenlosen Himmel ziemlich langweilig. Um 22:50 Uhr bestaunte ich vom Bus aus den Sonnenuntergang. Leider plumpste sie nicht ins Meer, das sich hinter dem Hügelland als blaues Band erstreckte, sondern verschwand hinter einer Wolkenwand. Dass es aber um 23:30 noch hell genug ist um problemlos draußen zu lesen, daran musste ich mich erst noch gewöhnen. Einschlafen war für mich bei der Helligkeit jedenfalls nicht so leicht und ich war froh, dass ich vor der Reise noch Vorhänge in meinen Bus eingebaut hatte.
Am nächsten Tag fuhr ich 9 Std. und kam trotzdem nur 240 Km weit. Die kurvenreichen Straßen schlängelten sich an engen, türkiesblauen Fjorden entlang, vorbei an zahlreichen Obstbaumwiesen durch idyllische Dörfchen mit bunten Holzhäuschen. Aufgrund der vielen Berge und Fjorde gibt es in Norwegen nicht so viele Straßen. Auf den wenigen Hauptstraßen ist daher recht viel Verkehr. Gerade im Sommer teilen sich Einheimische und Touristen, PKWs, Wohnmobile aber auch Reisebusse und große LKWs die Straßen. Wenn es die Landschaft hergibt, ist die Straße zweispurig, manchmal sogar dreispurig und es passen problemlos zwei LKWs nebeneinander. Auf solchen Straßen kann man auch schnell, d.h. 80 Km/h fahren. Mehr ist auf Norwegens Landstraßen nicht erlaubt.
Man sollte sich auch an die Geschwindigkeitsbeschränkungen halten, denn wird man erwischt, wird es teuer: bereits 10 Km/h zu schnell kosten 210€ und mehr. Ein paar Kilometer weiter ist die gleiche Straße allerdings nur noch 1,5 Spuren breit, sodass an einigen Stellen zwei PKWs gerade noch aneinander vorbei passen. Der Verkehr ist aber der gleiche. Ausweichen ist oft schwierig, da neben dem Asphalt entweder ein tiefer Graben oder eine scharfkantige Felswand ist, die ein Verlassen des Asphalts oft unmöglich machen. So sind Millimeterarbeit und gutes fahrerisches Können gefragt, wenn man die engen Straßen ohne Zusammenstöße passieren will. Man sollte allerdings nicht nur sein eigenes Auto gut kennen, sondern auch das Fahrverhalten der anderen. Nicht selten kommt ein LKW in einer Kurve plötzlich auf die Gegenfahrbahn, weil der Sattelauflieger einen engeren Kurvenradius hat, als die Zugmaschine und der Fahrer daher oft weiter ausholen muss. Unsichere Autofahrer fahren nicht den erforderlichen halben Meter an den Rand, da sie denken, sie können nicht mehr weiter außen fahren (obwohl noch viel Platz ist). So muss man stehen bleiben und im Schritttempo aneinander vorbei fahren, obwohl es locker gepasst hätte, wenn beide Autos mit dem rechten Reifen auf der Asphaltkante gefahren wären.
Viele Straßen führen auch über Weideland. Oft liegen Schafe am Straßenrand und sehen den vorbeifahrenden Autos hinterher. Es kommt aber auch immer wieder vor, dass eine ganze Schafherde mitten auf der Straße steht und die Autos nur im Schritttempo passieren lässt.
Auf der Straße sind die Norweger eher ein ungeduldiges Völkchen und scheinen vor den hohen Bußgeldern nicht zurückzuschrecken. Jedenfalls wird man als Touri, der sich streng an die Geschwindigkeitsgrenzen hält, schnell überholt, sobald die Straße breit genug ist.
Die Straßenverhältnisse und das Verkehrsaufkommen zwingen zum Langsamfahren mit einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von ca. 60 km/h. Berge stellen für die Straßenverläufe in Norwegen kein Problem dar, denn die Norweger sind wahre Tunnelkünstler. In manchen Tunneln fährt man unten in den Berg hinein. Es geht stets bergauf und nach rechts, bis man nach gefühlten 5 gedrehten Kreisen oben aus dem Berg wieder heraus kommt und die Autos unten hineinfahren sieht. In anderen Tunneln fährt man auf ein blaues Licht zu und kommt schließlich in eine große beleuchtete Halle mit einem Kreisverkehr und vier Straßen, die in unterschiedliche Richtungen im Berg verschwinden. Wieder andere Tunnel führen 10 Km. geradeaus durch den Berg.
Fjorde sind hingegen schwierig. Nicht alle Fjorde lassen sich mit einer Brücke überspannen oder mit einem Tunnel unterqueren, sodass man oft mit der Fähre übersetzen muss. Die Preise für die Überfahrten sind mit umgerechnet 8-15€ für das Teuerland recht human. Oft fährt die Fähre aber gerade vor der Nase weg und man muss warten, was die Reisezeit verlängert.
Mein Bus meisterte mit seinen 95 PS alle Strecken problemlos und machte sogar bei 20% Steigung bzw. Gefälle keine Mucken. Der Motor hatte eine gute Bremskraft, weshalb ich die Bremsen seltener benutzte als meine Vorfahrer. Wie eine Bergziege kletterte er problemlos alle Straßen rauf und runter, weshalb ich ihm den Beinamen „Ziege“ gab.
Die Letzten 30 Km. der Tagesetappe waren eine Herausforderung. Als ich von der letzten Fjordfähre rollte, prognostizierte mir mein Navi eine verbleibende Reisezeit von 2,5 Std. für 30 Km. Die letzten 20 Km. waren als enge, kleine Straße eingezeichnet, die aber recht stabil auf ca. 900 – 1000 m verlief. Ich war gespannt. Zunächst führte die wenig befahrene, schmale Straße an einem Fjord entlang und schraubte sich dann in mehreren engen Haarnadelkurven den Berg hinauf. Oben angekommen zweigte eine einspurige Straße ab. Am Anfang stand ein Schild: „Achtung! Anspruchsvolle Bergstraße – vorsichtig fahren!“ in drei Sprachen. Ok… Mal sehen, wie weit ich komme, dachte ich mir und fuhr los. Zunächst ging es über saftige Wiesen an einem türkiesblauen Bach entlang durch ein von verkrüppelten Birken gesäumtes Tal. Manchmal ging es etwas bergauf und so kam ich langsam immer höher. Die Landschaft wurde immer karger: ich passierte die Baumgrenze und kam an riesigen Stauseen vorbei, die zwischen den weiß-grauen Felsen türkiesblau in der Abendsonne glitzerten. Wirklich anspruchsvoll war die Straße bisher nicht. Wahrscheinlich, weil der seltene Gegenverkehr immer dann auftauchte, wenn gerade eine Ausweichmöglichkeit in der Nähe war. Es gab aber auch genügend Stellen, an denen einer auf der einspurigen Straße einige 100m zur nächsten Ausweichstelle hätte zurückfahren müssen. Nur die letzten Meter waren eine Herausforderung, die Straße hatte 20% Steigung und führte in einigen engen Haarnadelkurven den Berg hinauf. Aber auch die meisterte meine Ziege problemlos. Am Ende stand ich auf einem Parkplatz am Ufer eines türkiesblauen Gletschersees. Die Ufer waren von grauen, nackten Felsen gesäumt und gegenüber thronte in strahlendem Weiß der Folgefonn – Norwegens drittgrößter Gletscher. Da ich keine Lust hatte, auf den 20% Steigung bzw. Gefälle eventuellem Gegenverkehr auszuweichen, beschloss ich, die Nacht auf einem Parkplatz vor dem steilen Stück zu verbringen, von wo aus auch meine Wanderung starten sollte.
Der Weg zur südlichsten Zunge des Folgefonngletschers war spektakulär. Zunächst ging es steil über einen kleineren Berg in ein etwas weiteres Flusstal hinein. Ein türkisfarbener Gletscherfluss schlängelte sich über weiße Sandbänke. Die Flussufer waren von knallgrünem Moss umgeben und die Berghänge von dunkelgrünem Gras gesäumt. Auf das Blau-Weiß-Grün folgten graue kahle Felsberge und über allem spannte sich ein tiefblauer Himmel. Die Sonne brannte, aber aufgrund der Höhe und eines leichten Windes war die Temperatur angenehm. Der Weg endete vor dem Gletscher, dessen grau-weißes Eis haushoch in den Himmel ragte. Aus türkiesblau schimmernden Gletscherhöhlen floss hellblaues Eiswasser über graue Felsen.
Trotz der schönen Farbenspiele und der kargen Landschaft in 1000m Höhe, fühlte ich mich in Fjordnorwegen nicht wohl. Unten in den Fjorden war mir die Landschaft nicht karg genug. Die satten Obstwiesen und die bunten Dörfchen überforderten mich. Überall war Zivilisation, dabei war mir eher nach einsamer, unberührter Natur. Außerdem fühlte ich mich in den engen Fjorden zwischen den Felswänden, die bis zu 1000m hoch in den Himmel ragten, eingezwängt. Mir fehlte der Weitblick. Den hatte ich auch auf den Bergen nicht, da die Berge in dieser Region sehr zerklüftet waren und es immer viele höhere Gipfel gab, die die Weitsicht behinderten. Außerdem war es heiß. Die Sonne brannte von einem wolkenlos blauen Himmel und da die Touren oft am Fjord, d.h. auf Meereshöhe starteten, galt es oft 1000 und mehr Höhenmeter zu erklimmen. In der brütenden Hitze eine sehr schweißtreibende Angelegenheit.
So beschloss ich Fjordnorwegen schnell hinter mir zu lassen und fuhr in zwei Tagen bis zur Vogelinsel Runde. Vom Auto aus betrachtet war die Landschaft aber trotzdem schön. Enge Straßen führten an sprudelnden Flüssen entlang durch saftig grüne Täler, windeten sich in engen Kurven steile Berge hinauf, führten über grünes Weideland, vorbei an Stauseen und hinab in Fjorde, die dann per Fähre überquert wurden. Hin und wieder kam ich durch malerische Dörfer mit roten, gelben und weißen Holzhäuschen. Die Nacht verbrachte ich am Fuße des Jostedalsbreen, Europas größtem Gletscher.
Mit mehreren Wohnmobilen stand ich auf einem schönen Parkplatz mit Gletscherpanorama. Abends bekamen wir noch Besuch von einer Kuhherde, die die Wohnmobile, vor Allem aber deren Bewohner, die sich gerade ihr Abendessen grillten, sehr spannend fanden. Während einige von den überrascht aufschreckten und versuchten, die Vierbeiner von ihrem Abendbrot fernzuhalten, amüsierten sich andere köstlich über den Streit zwischen den Zwei- und Vierbeinern.
Auf Runde war es sonnig, aber mit 16°C zur Abwechslung mal angenehm kühl. Als ich zur Inselerkundung aufbrach, kam ein kräftiger Westwind auf, der sich oben zu einem Sturm entwickelte. Ich war froh um meine Regensachen, die mir an diesem Tag als Windschutz dienten. Wolken zogen auf und hüllten den Inselberg in dichten grauen Nebel, der die Sichtweite auf wenige Meter reduzierte. Ich wanderte quer über die ca. 300m hohe Insel und stieg am anderen Ende zum Leuchtturm mit seinen niedlichen Häuschen hinunter. Der Wind wehte immer noch stark, aber die Sonne kam langsam heraus, sodass zumindest die Sicht besser wurde und ich den Rückweg an der 250m hohen Steilküste entlang wagte.
Die Vogelinsel machte ihrem Namen wirklich alle Ehre. Mächtige Seeadler flogen nur wenige Meter an mir vorbei. Tausende Basstölpel brüteten an einem steilen Felsen hoch über dem Meer und Tordalke schwebten über den grünen Wiesen. Bekannt ist die Insel allerdings für die Papageientaucher, die abends ihre Nester auf der Insel aufsuchen. Die kleinen Rotschnäbel waren ungefähr so groß wie eine Taube und damit kleiner, als ich dachte. Wie Kolibris flatterten sie auf die Insel zu, spreizten ihre orange-roten Flossenfüße nach vorne und landeten etwas tollpatschig auf den warmen Steinen, nur wenige Meter von mir entfernt. Obwohl die Insel recht touristisch ist, hielten sich die Menschenmassen in Grenzen. An dem Papageientaucher-Spot saßen abends ca. 30 Menschen, fast alles Naturfotografen, die leise die Vögel beobachteten. Zu hören war nur das Flügelflattern der Vögel und das maschinengewehrartige Klackern der Spiegelreflexkameras.
Auf Runde musste ich mich sehr an die dauerhafte Helligkeit gewöhnen. Die Sonne ging hier um 23:39 Uhr unter und verschwand nur kurz hinter dem Horizont, sodass es gar nicht richtig dunkel wurde. Als ich gegen 1:00 Uhr war ich von meinem abendlichen Ausflug zu den Papageientauchern zurück kam, war es noch hell genug um problemlos ohne Licht zu lesen und es fiel mir sehr schwer, bei der Helligkeit – gefühlt mitten am Tag – einzuschlafen.
Von Runde ging es über die Jugendstilstadt Ålesund über das süßeste Fischerdörfchen Bud auf den Atlantehavsveien. Die Straße führte über Inseln, Dämme und 8 Brücken übers Meer und verband so die Städte Molde und Kristiansund miteinander. Der Ausblick und die Landschaft waren schön, im Vergleich zu dem, was ich bisher gesehen hatte, war die in vielen Touristenführern angepriesene Strecke aber eher unspektakulär.
In Kristiansund hatte ich den nördlichsten Punkt meiner Reise erreicht. Nun ging es weiter nach Südosten ins Landesinnere. Dort wurden die Straßen wieder breiter und führten über weite Berglandschaften. Anders als in Fjordnorwegen war die Talsohle bereits auf ca. 500-1000 m über NN. Auch die Abstände zwischen den Bergen waren größer, weshalb die Landschaft trotz der 2000 m hohen Berge nicht mehr so beengend wirkte.
Die nächste Station war das Dovrefjell. Die Hochebene ist bekannt für ihre Moschusochsen, die vor ca. 70 Jahren dort ausgewildert wurden. Der Weg führte durch einen lichten Birkenwald in dem zahlreiche Wildblumen in allen Farben blühten. Oben wurde die Landschaft karger und unberührter. In den grünen Tälern wuchsen kniehohe Krüppelsträucher, Flechten und Moose. Flüsse zogen sich wie feine Adern durch die Weiten, die auch von den hohen Felsbergen nicht beengt wurden. Am Horizont erhoben sich die Gipfel des Rondanegebirges und des Alvdal Vestfjells im blauen Dunst. Hier hatte ich endlich die Wildnis erreicht, die ich in Fjordnorwegen vermisst hatte. Immer wieder stieß ich auf Hinterlassenschaften von Moschusochsen, von den Tieren selbst war jedoch weit und breit nichts zu sehen. Auf dem Rückweg hatte ich die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ich vor einer Almhütte einen Fellberg entdeckte. Ein einsamer Moschusochse graste gemütlich vor dem Zaun. Sein langes Zottelfell reichte bis zum Boden und wehte im Wind. Ich schlich in großem Abstand um ihn herum. Eigentlich sind die Tiere friedlich. Auf zahlreichen Hinweisschildern wird jedoch empfohlen einen Sicherheitsabstand von mindestens 200 m einzuhalten, da die Tiere angreifen, wenn sie sich bedroht fühlen. Wer angegriffen wird, ist also selbst schuld.
Am nächsten Tag regnete es zum ersten Mal in diesem Urlaub. Da ich keine Lust hatte, den Tag im Bus zu verbringen, fuhr ich weiter nach Süden, wo besseres Wetter angekündigt war. Die E6 führte noch eine ganze Weile durch die endlose Wildnis des Dovrefjells.
Am frühen Nachmittag hatte ich Jotunheimen erreicht. Die schwarzen, kahlen Felsberge stachen düster in den bewölkten Himmel. Zu ihren Füßen erstreckten sich weite Wälder aus Krüppelbäumen, die von Flüssen und Seen durchzogen waren.
Am nächsten Tag wanderte ich zum Grad Besseggen. Hier musste ich von meinem Vorsatz Norwegen abseits der Massen abweichen. Bereits einige Km vor dem Parkplatz war Camping und Übernachten überall verboten. Erst südlich des Parkplatzes und der Besseggen-Fjellstation standen Keine Verbotsschilder auf den Parkplätzen. Ich nahm jedoch nicht das Boot über den Gjendesee, wie alle anderen, sondern stieg hinter der Fjellstation gleich den Berg hinauf. Da sich alle mit dem Boot zu einem Anleger auf halber Länge des Sees bringen ließen, um von dort über den Grat zurückzuwandern, war ich auf dem Weg fast die Einzige.
Der Aufstieg war steil. Schnell ließ ich die Baumgrenze hinter mir und gelangte schließlich auf ein Hochplateau auf dem es nur noch schwarze und dunkelgraue Steine gab. Nur der blaue See mit seinen grünen Ufern erinnerte daran, dass ich mich noch auf der Erde befand. Ansonsten sah die Landschaft eher nach einem anderen Planeten aus.
Das Hochplateau wurde immer schmaler. Zur Linken glänzte der Gjendesee türkiesblau in 650m Tiefe, zur Rechten schimmerte das Bessvatnet 250 Tiefe in dunklem Blau. Schließlich endete das Plateau und der Weg führte auf einem ca. 5m breiten Grat auf das Niveau des Bessvatnet. Der Abstieg war nur auf allen vieren zu bewältigen. Stahlseile und andere Sicherungssysteme gab es nicht, weshalb absolute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit für die sichere Begehung Voraussetzung waren. Es ging zwar in keine Richtung wirklich senkrecht nach unten, ein Fehltritt und ein darauf folgender Sturz hätten aber wahrscheinlich trotzdem tödlich geendet.
Mittlerweile kamen mir die Massen entgegen und ich war erstaunt, wie viele Menschen diese Voraussetzungen nicht erfüllten und mitten auf dem Grat in luftiger Höhe über den Seen an ihre psychischen und physischen Grenzen kamen. Krampfhaft klammerten sie sich an den Felsen fest, starrten auf das ca. 20m lange Boot, das aus der Höhe etwa die Größe eines Stecknadelkopfes hatte. Nur durch gute Zusprüche und Unterstützung der anderen Wanderer kamen alle heil oben an.
Wer mit dem Boot gefahren ist, musste über den Grat zurück. Die Landschaft wird aber zwischen dem Grat und der Fjellstation als die schönste beschrieben, weshalb ich allen, die nicht schwindelfrei sind, raten würde, von der Fjellstation direkt zum Grat zu wandern. Trittsicher sollte man aber in jedem Fall sein! Man kann aber vor dem Grat umkehren und wieder zurück laufen, wenn man sich die Kletterei in luftiger Höhe nicht zutraut. Da ich den Grat hinunter und wieder hinauf geklettert bin, kann ich sagen, dass der Aufstieg deutlich schwieriger ist, als der Abstieg. Wer mit dem Boot fährt, muss aber auf jeden Fall hinauf.
Vom Besseggen ging es wieder nach Fjordnorwegen zum Vettisfossen am westlichen Ende von Jotunheimen. Die Straße nach Øvre Årdal hinunter hielt ungeahnte Überraschungen bereit. Auf dem Navi sah ich schon, dass es auf der Strecke einige Haarnadelkurven geben sollte. Nachdem ich schon einige Meter bergab gefahren war, wunderte ich mich über die Schilderkombination vor einem Tunnel: Achtung Tunnel, starke Kurve und Schleudergefahr. Gleich dahinter verschwand die Straße in einem schmalen, unbeleuchteten schwarzen Loch. Ich fuhr langsam hinein und als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich eine Felswand vor mir. Die Straße führte scharf nach links – die Haarnadelkurve war also im Tunnel.
Die Tour zum Vettisfossen führte durch ein schönes idyllisches Tal. Links und rechts ragten 1000 m hohe, steile Felswände auf, von denen mehrere Wasserfälle in die Tiefe stürzten und den türkiesblauen, schäumenden Hauptfluss mit Wasser speisten. In dem engen Tal, das nur einen kleinen Ausschnitt auf den Himmel freigab, stellte sich das beklemmende Engegefühl, das ich aus Fjordnorwegen kannte, schnell wieder ein. Der Weg war gut ausgebaut und nach der anspruchsvollen Tour vom Vortag leicht zu begehen. Der Vettisfossen war allerdings weniger spektakulär als erwartet. Die angeblichen 273 m Fallhöhe wirkten gar nicht so hoch und es bestätigte sich der im Wanderführer beschriebene Verdacht, dass die Fallhöhe eigentlich gar nicht so hoch wie beschrieben ist. Der Wasserfall verschwand in einem Felsbecken, aus dem weiße Gischt aufstäubte. Leider kam man auch nicht ganz an den Wasserfall heran und musste das Spektakel aus einiger Entfernung bestaunen.
Am nächsten Tag regnete es. Der zweite Regentag auf dieser Tour. An Fjellwanderung war bei diesem Wetter nicht zu denken, da die Flechten auf den Felsen bei Nässe die Wanderungen zu einer sehr rutschigen Angelegenheit werden lassen.
Auch am nächsten Tag war nicht wirklich Besserung angesagt, weshalb ich weiter nach Süden fuhr. Ich ließ die rauen Berge hinter mir. Die Straße führte durch eine Landschaft aus weiten Nadelwäldern und sanften Hügeln.
Unterwegs besichtigte ich noch die größte Stabkirche des Landes. Die Holzkirche roch nach warmem Holz und Harz. Die Wände im Inneren waren mit verblichenen Malereien verziert. Außen war die Kirche mit zahlreichen Schnitzereien verziert.
Weiter ging es durch endlose Wälder, doch obwohl ich eintönige Landschaften sehr gerne mag (je eintöniger, desto besser), konnte ich den Wäldern nicht viel abgewinnen. Es stellte sich eher das beklemmende Gefühl aus Fjordnorwegen ein. Zwischen den unzähligen hohen Bäumen hatte ich keine Orientierung und mir fehlte der Weitblick.
In Larvik gestaltete sich die Stellplatzsuche sehr schwierig. Der Süden Norwegens ist sehr dicht besiedelt und das Campen fast überall verboten. Mit meinem weißen Transporter falle ich oft nicht sofort als Camper auf. Viele Menschen, denen ich unterwegs begegnete, waren überrascht, als sie das Innenleben meiner Ziege sahen. Die meisten hatten (wahrscheinlich wegen der fehlenden Fenster und des Werbeaufklebers auf der Seite) eher mit einem Lieferwagen gerechnet. Einmal wurde ich sogar gefragt, ob ich dienstlich und mit Dienstfahrzeug unterwegs sei, da ich immer mit einer großen Kamera herumliefe und Fotos machen würde. Aufgrund dieser Gegebenheiten und der Tatsache, dass ich keine Stühle o.ä. nach draußen stellte (Definition von Camping) waren mit die Campingverbotsschilder schnell egal. Da ich aber keine Toilette im Bus habe, musste es zumindest ein passables stilles Örtchen geben, was in den dicht besiedelten Gebieten nicht immer vorhanden war. Schließlich fand ich aber einen schönen Platz in der Nähe von Sandefjord, wo ich die letzten 2 Tage verbrachte. Die Sonne brannte vom Himmel und es hatte 30°C, die sich nur im Wasser gut aushalten ließen.
Schließlich setzte ich mit der Fähre von Larvik nach Hirtshals über. Bis mich die Arbeit in Kiel wieder rief, hatte ich noch 3 Tage Zeit und ich beschloss, noch ein paar Tage an der dänischen Nordsee zu verbringen. Je weiter ich in den Süden fuhr, desto bewölkter wurde der Himmel. Schließlich kam ich bei kühlen 15 °C in Fjaltring an. So kalt war es in den ganzen 3 Wochen Norwegen nicht gewesen. Auch am nächsten Tag wurde das Wetter nicht besser und so fuhr ich zurück nach Kiel.
Insgesamt war ich 21 Tage unterwegs und bin in dieser Zeit ca. 3850 Km gefahren. Insgesamt hat es 1,5 Tage lang geregnet und an 3 weiteren Tagen war der Himmel bewölkt. Die anderen Tage brannte die Sonne von einem Wolkenlos blauen Himmel. Während der ganzen Zeit in Norwegen wurde es nicht richtig dunkel und ich freute mich in Dänemark umso mehr, als ich abends wieder Sterne am dunklen Nachthimmel sah.
Trotz der ewigen Helligkeit ist Ende Juni/Anfang August eine gute Reisezeit, da die Wetterlage in Norwegen zu dieser Zeit recht stabil ist. Nur mit Restschnee könnte es da noch Probleme geben, aber das war in diesem Jahr zum Glück nicht der Fall – die Berge waren alle nahezu schneefrei.
Bilder von der Tour gibt es hier.